Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Koalitionsverhandlungen
Bielefeld (ots)
Gemeinhin freut sich der Mensch aufs Wochenende, selbst wenn er Politiker ist. Nicht so an diesem Freitag, und schon gar nicht, wenn er oder sie ein CDU-Bundestagsmandat hat. Denn dann muss man sich daheim im eigenen Wahlkreis fragen lassen, was die Union bisher bei den Koalitionsverhandlungen herausgeholt hat. Was schafft Wohlstand, statt ihn zu verfrühstücken? Wo wird die eigene Handschrift erkennbar? Auf den ersten Blick gar nicht, auf den zweiten werden allenfalls Restbestände von sozialer Marktwirtschaft deutlich. Fast niemand spricht mehr davon, 2014 ohne neue Schulden auskommen zu wollen. Allein Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble blieb gestern seinen Mahnungen treu. Die Berechnungen der Steuerschätzer waren hochwillkommen, denn auf dem Weg der Vernunft sind dem Kassenwart längst die Verbündeten ausgegangen. Das hohe Ziel, 2015 mit der Rückzahlung von Krediten zu beginnen, scheint gänzlich vergessen zu sein. Stattdessen kommt ein milliardenschweres Projekte zum nächsten: Infrastrukturinvestitionen, superschneller Datenverkehr, Mindestrente, volle Rente in bestimmten Fällen schon mit 63 statt 67 und wahrscheinlich Mindestlöhne, die das Jobwunder beenden. Was gut und teuer ist, wird aufgelistet. Aber nichts davon kann der gemeine Abgeordnete dem Wahlvolk als wirklich gesichert zusagen. Denn alles zusammen kostet vier bis fünfmal mehr, als man sich leisten kann. Das scheinbar unkontrollierte Brainstorming der Koalitionäre hat sich zu mehr als 50 Milliarden Euro an Belastungen aufgeschaukelt. Seriös anzunehmen ist aber nur eine freie Spitze von zehn bis 15 Milliarden Euro. Gut 50 Milliarden - das war ungefähr der Gesamtwert der Wahlversprechen der SPD vor dem 22. September. Damals betonten die Sozialdemokraten noch, dass dieses nur mit kräftigen Steuererhöhungen machbar sei. Heute nicht mehr. Zugleich haben Teile der Union ihre sozialdemokratische Ader entdeckt und kräftig draufgesattelt. Auch hier schweigt des Sängers Höflichkeit, wenn die Frage nach der Finanzierbarkeit aufkommt. Damit entmündigen sich die Arbeitsgruppen selbst. Wenn am Ende die drei Parteichefs zum Streichkonzert zusammentreten, musizieren nur noch die wenigsten aus dem großen Orchester der Koalitionäre mit. Die laufende Wünsch-Dir-Was-Show hilft niemanden, wenn letztlich doch im kleinen Kreis gekungelt wird. Vieles läuft zu rund in Berlin. Das ist verdächtig. Die SPD braucht Vorzeigbares für ihren Bundesparteitag Ende kommender Woche in Leipzig und vor allem bei der Mitgliederbefragung. Das Verfahren hebt die nur mit 25,7 Prozent gewählte Partei zumindest gefühlt auf Augenhöhe mit der Union (41,5 Prozent). Was tun, wenn eine verärgerte Unionsbasis für sich etwas Vergleichbares fordert, aber zu Weihnachten nichts bekommt?
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