Westfalen-Blatt: zum Thema Wulff-Prozess
Bielefeld (ots)
Wäre das Wort »Peanuts« nicht ein für allemal verbrannt, in der Causa Wulff wäre der Begriff gut zu gebrauchen. Die lässige Umschreibung für einen nicht sonderlich nennenswerten Geldbetrag hat das Zeug, eine ganze Staatsaffäre infrage zu stellen. 719,40 Euro beträgt der Betrag, wegen dessen Christian Wulff von heute an 22 Tage vor Gericht steht. Nehmen wir die absehbare zweite Runde vor dem Bundesgerichtshof hinzu, wird uns diese eine und einzige Schlüsselfrage noch Jahre beschäftigen: Hat Filmproduzent David Groenewold von seinen Freund Christian Wulff gegen die Annahme von 719,40 Euro einen Vorteil gefordert? Eine Hotelrechnung - einschließlich Restaurantleistungen und Kosten für ein Kindermädchen - ist als strafrechtlich relevant übrig geblieben. Das ist die ganze Ausbeute der Staatsanwaltschaft Hannover, die einen Wust von Verdächtigungen, Vorwürfen und Belanglosigkeiten durchackerte. Von einem Kredit unter Freunden über Promi-Dinner und zwei Sylt-Reisen bis zur Bobbycar-Beigabe eines eilfertigen Autoverkäufers reichte einst die Skandalliste. Der vierten Gewalt im Staate, der Presse, bot das Tableau reichlich Stoff für eine Story um aufgeregte Telefonate mit der »Bild«-Zeitung, politische Intrige und das Ende einer Liebe. Vor der Judikativen, der dritten Gewalt im Staate, fällt die Bilanz weit magerer aus. Justitia wird allein Wulffs Besuch auf dem Oktoberfest 2008 in den Blick nehmen. Für alle anderen Aspekte ist die deutsche Rechtsfindung blind. Ihr Urteil wird am Ende frei von Rechtsfehlern, politisch aber nicht das letzte Wort sein. Wulff hat hohe moralische Ansprüche an andere gestellt, er selbst muss sich der Doppelmoral zeihen lassen. Er konnte auch nicht verhindern, dass sein Amtsverzicht als Schuldeingeständnis verstanden wurde. Deshalb will er eine Klarstellung, deren Erreichen keineswegs sicher ist. In Deutschland gelten für Staatsvertreter neben den Regeln des Rechtsstaats Kriterien wie Empörung, Emotion und moralischer Rigorismus. Sie zu erschüttern hat Wulff kaum eine Chance. Der Jurist Wulff und dessen Anwälte verengen den Fall allein auf die Rechtsfrage. Ein hoch bezahlter Ministerpräsident werde sich wohl kaum durch die Übernahme einer Hotelrechnung zur Vorteilsgewährung hinreißen lassen, argumentiert die Verteidgung. Im übrigen hätte er sich die Übernachtung in München auch vom Steuerzahler bezahlen lassen können. So verkürzt erscheint die Anklage tatsächlich als Popanz, als brüchiges Konstrukt, das mit Pauken und Trompeten vom Richtertisch gefegt werden könnte. Wulff ist tief verletzt und gebrochen. Seine innere Wunde heilt nur durch die Inkaufnahme weiteren Schmerzes. Die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage hat er abgelehnt. Er will diesen Prozess, keinen Kompromiss und nicht weniger als einen Freispruch erster Klasse.
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