Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Wolfgang Herrndorf
Bielefeld (ots)
Der Berliner Schriftsteller Wolfgang Herrndorf (»Tschick«, »Sand«) hat im Internet dreieinhalb Jahre lang von seinem Sterben berichtet. Nun ist sein Blog »Arbeit und Struktur« als Buch erschienen. Es wird in dieser Form hoffentlich noch mehr Leser finden, denn es ist in seiner Entstehungsgeschichte, seiner Sprache und in seinem Inhalt außergewöhnlich. Herrndorf hat ein Thema in den öffentlichen Raum gebracht, das wir dort nicht oft finden - das einige Menschen dort auch nicht finden wollen. Diejenigen beispielsweise, die gegen Sterbehäuser und Hospize in ihrer Nachbarschaft klagen, wie auf »Zeit Online« zu lesen ist. Die, die den Tod nicht sehen wollen und meinen, ihn über das Nicht-Sehen verdrängen zu können. Die, die sagen, es gehöre sich nicht, über das Sterben zu sprechen. Der Tod kann schmerzvoll, langwierig, elendig sein. Der Mensch ist dagegen schwach. Herrndorf lässt Schwäche zu, teilt sie mit - und das hilft. Ihm und dem Leser. Er schreibt über seine Krebserkrankung und seinen Wunsch, seinen Tod selbst herbeiführen zu können. Er will nicht sterben. »Zu keinem Zeitpunkt.« Aber die Gewissheit, »es selbst in der Hand zu haben«, sei von Anfang an ein wichtiger Bestandteil seiner Psychohygiene gewesen. Das Bemühen darum, das Nachdenken über die Möglichkeiten, »Herr im eigenen Haus« zu sein, zieht sich durch sein Werk. An keiner Stelle bagatellisiert er den Tod, an keiner Stelle wünscht er ihn herbei - und doch: An keiner Stelle hadert er. Das Ende seiner Lebensgeschichte schreibt er in schnellen, klaren, mitunter unglaublich lustigen Sätzen. Wer all das liest, wird sich und vielleicht auch anderen Fragen stellen. Wie will ich sterben, wie willst du sterben? Wie darf man sterben? Diese Fragen schmerzen. Sie schmerzen unfassbar. Man kann sich fragen, warum muss ich mich das fragen, es ist doch ohnehin unabwendbar. Man kann Herrndorf für die Art und Weise, wie er aus dem Leben geschieden ist, tadeln. Man kann sein Plädoyer für einen selbstbestimmten Tod egoistisch finden. Auf die Frage, wie man sterben darf, wird es nie eine Antwort geben, mit der alle Menschen einverstanden sind. Der Atheist, als den sich Herrndorf beschreibt, gibt eine andere als der Christ. Der Mensch, der Verluste erfahren hat, eine andere als der ohne Verluste. Am Ende steht: Jedem Todkranken, der sich wünscht, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen, ist zu wünschen, dass ihm Menschen bei der Umsetzung dieses Wunsches helfen. Ärzte, Hospizmitarbeiter, Familie, Freunde. Herrndorf hat an der Kompetenz seiner Ärzte nicht gezweifelt. Aber bei der Suche nach einem für ihn befriedigenden Ausweg konnten sie ihm nicht helfen. Ein Hospiz und Sterbehilfe im Ausland kamen für ihn nicht in Frage. Freunde und Familie waren seine Stütze. Herrndorf hatte Glück, nicht allein zu sein.
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