Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Wahl in Indien
Bielefeld (ots)
Indien, die größte Demokratie der Welt, hat gewählt. Die ersten Ergebnisse werden vermutlich erst am Freitag vorliegen. Doch die Wechselstimmung ist greifbar. Alles andere als eine Abwahl der Kongresspartei, die die größte Zeit seit der Unabhängigkeit und die vergangenen zehn Jahre ohne Unterbrechung regiert hat, wäre eine Überraschung. Das Fatale ist: Die Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung spült vermutlich einen Mann an die Macht, der Indien und darüber hinaus ganz Südasien spalten wird.
Für Schlagzeilen sorgt weltweit seit Jahren vor allem der Terror von Taliban, Al Kaida, Boko Haram und anderen Banden, die sich auf den Islam berufen. Dabei werden auch Muslime immer wieder Opfer von Gewalt, die von falsch geleiteten Angehörigen anderer Religionen ausgeht. Eines der schlimmsten Massaker an Muslimen geschah im Februar 2002 im indischen Bundesstaat Gujarat. Ausgangspunkt war ein Anschlag auf einen Zug, bei dem 58 Menschen ums Leben gekommen waren. Obwohl nie bewiesen, wurden Moslems dafür verantwortlich gemacht. In Ahmedabad, der Hauptstadt Gujarats, richtete daraufhin hinduistischer Mob in den von Muslimen bewohnten Straßen ein Blutbad an. Fast eine Woche dauerte das Morden, ohne dass die Regierung des Ministerpräsidenten Narendra Modi in irgendeiner Weise einschritt.
Am Ende waren 2000 Menschen tot und Zehntausende aus Ahmedabad geflüchtet. Seitdem hat Modi deshalb in den USA Einreiseverbot. Der Mann, der sich anschickt, Indiens Ministerpräsident zu werden, war zudem in jungen Jahren Mitglied der ultrarechten paramilitärischen Hinduvereinigung RSS. Er ist keineswegs moderater geworden. Gerade erst hat Modi angekündigt, beim Wahlsieg die muslimischen Bengalen, von denen er behauptet, sie seien eingewanderte Bangladeschis, aus dem Land »hinauszuwerfen«.
Unterstützt werden Modi und die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von den Unzufriedenen. Wohl hat die Wirtschaft unter der Kongresspartei einen Aufschwung genommen. Doch fühlt sich vor allem die untere Mittelschicht nicht als Gewinner. Viele fürchten, unter die Räder der Globalisierung kommen. Sie setzen ihre Hoffnung in Modi, der zudem als Kandidat der Wirtschaft gilt. Als die Regierung in Westbengalen den Plan einer großen Fabrik für das Billigauto Nano wegen anhaltender Proteste aufgab, zog er die Investition nach Gujarat. Der Sohn eines Teeverkäufers kungelt gern mit Unternehmern - unter Umgehung der Bürokratie und notfalls der Gesetze.
Derzeit scheint nur die Frage offen, wie groß Modis Mehrheit sein wird. Wahrscheinlich braucht er Koalitionspartner. Doch wer geht mit ihm? Die hoffnungsvoll gestartete, aber auf den Boden der Realität zurückgeworfene neue »Partei des kleinen Mannes«? Die schwachen, aber traditionsreichen Linken? Beide sicher nicht. Bleiben die in Indien starken Regionalparteien. Sie sind es gewohnt, bei Koalitionsverhandlungen das Optimale an Posten und Positionen herauszuholen.
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