Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Leitzinssenkung
Bielefeld (ots)
Wertvolles möchte man halten und vermehren. Die Europäische Zentralbank aber tut im Gegenteil alles, um den Wert des Euro zu vermindern. Die Wirkung ist fatal - sowohl auf Regierungen als auch auf Privatleute. Vor der Einführung des Euro gehörten Manipulationen an der Währung und an den Zinsen zum Standardrepertoire der italienischen und einiger anderer Zentralbanken. Doch selbst die Hüter der Lira sind nie so weit gegangen, dass sie Bankeinlagen mit einem Strafzins belegt haben. Diese Grenze zu durchbrechen ist dem europäischen Zentralbank-Chef italienischer Herkunft, Mario Draghi, vorbehalten. Er sieht sich gern und ewig als Krisenmanager. Nur ist die Krise längst in ein Stadium getreten, wo statt der Akutmedizin dringend strukturelle Veränderungen umgesetzt werden müssten. Draghis Therapie aber ist schon deshalb fehl am Platz, weil seine Diagnose falsch ist. Die europäische Wirtschaft entwickelt sich vorwärts, wenn auch noch zu langsam. Wie anders ist der Höhenflug der Aktienmärkte zu verstehen? Die anhaltende Verzinsung von Geldanlagen unter dem Inflationsniveau hat den Aktienboom bis hin zum gestrigen Überspringen der 10 000-Punkte-Grenze im Dax zwar beschleunigt, aber nicht allein verursacht. Auch der zweite Teil von Draghis Diagnose ist falsch. Europa erlebt keine Deflation. Dass die Preise aktuell nicht stärker steigen, liegt allein an der jüngsten Entwicklung der Energiekosten. Wie schnell sie auch wieder steigen und damit die Teuerungsrate treiben können, weiß jeder aus der jüngsten Vergangenheit. Allein die EZB verfährt nach dem Motto: Hilft meine Therapie nicht, dann verstärke ich sie eben. Dabei wird die neuerliche homöopathische Leitzinssenkung verrauchen wie ihre Vorgängerinnen. Niemand investiert eher oder mehr, weil der Zins um ein oder zwei Zehntel niedriger ausfällt: kein Privatmann und kaum ein Unternehmen. Allein manche europäischen Regierungen könnten sich verleitet sehen, die nochmalige ganz leichte Entspannung an der Zinsfront zu nutzen, um den eingeleiteten Schuldenabbau schleifen zu lassen. Damit jedoch verschärft die EZB den Reformstau in einigen Mitgliedsstaaten der Währungsunion. Je später aber Strukturen angepasst werden, desto höher sind die Kosten. Das Geld, das jetzt dank der EZB so billig wie noch nie zu haben ist, wird dann richtig teuer. Ebenso fatal wie die vermutliche Reaktion europäischer Haushaltspolitiker ist die Wirkung, die die Politik des billigen Geldes auf den privaten Anleger hat. Jeder, der jetzt noch spart, wird doch von anderen für dumm erklärt. Dabei braucht das staatliche Rentensystem dringend die Ergänzung durch private Vorsorge, damit nicht große Teile der immer älter werdenden Bevölkerung irgendwann in die Altersarmut abdriften. Seit einiger Zeit ist das System der Lebensversicherung an seiner Grenze angelangt. Bleibt die Investition in Betongold. Doch sind auch dem Immobilienmarkt bei abnehmender Bevölkerungszahl Grenzen gesetzt.
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