Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Angela Merkel
Bielefeld (ots)
Geht's nach den Zahlen, läuft es perfekt für Angela Merkel: 41,5 Prozent für die CDU/CSU bei der Bundestagswahl, in Umfragen regelmäßig die beliebteste deutsche Politikerin, vom US-Magazin »Forbes« bereits zum vierten Mal zur mächtigsten Frau der Welt gewählt. Und nicht zu vergessen: Deutschland strotzt vor wirtschaftlicher Kraft. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende steht im Zenit ihrer Macht und die Mehrheit der Menschen steht zu ihr. An ihrem Ehrentag geht's trotzdem nüchtern zu. Beim Empfang im Konrad-Adenauer-Haus referiert heute Historiker Jürgen Osterhammel zum Thema »Vergangenheiten: Über die Zeithorizonte der Geschichte«. Hört sich nicht gerade nach einer rauschenden Fete an. Aber die Kanzlerin hatte ihren Spaß ja auch schon: mit Dosenbier und den deutschen Fußball-Weltmeistern in den Katakomben des legendären Maracanã-Stadions. Es ist dieser Spagat, der das Phänomen Merkel ausmacht. Es ist ihre Mischung aus unverstellter, bodenständiger und mitunter langweiliger Alltagstauglichkeit bei zugleich absoluter Ernsthaftigkeit. Egal wie lange die nun 60-Jährige noch Kanzlerin bleiben mag: dass sie sich eines Tages von Wladimir Putin eine Geburtstagssause ausrichten ließe, wie es Gerhard Schröder tat, ist unvorstellbar. Und dass sie wie ihr Amtsvorgänger für einen der weltweit größten Energieriesen Lobbyarbeit macht, genauso. Überhaupt hat Angela Merkel im neunten Jahr ihrer Amtszeit längst den Status erreicht, der bei Helmut Kohl einst mit dem Begriff »der ewige Kanzler« umschrieben wurde: Eine Bundesrepublik ohne die Kanzlerin Merkel kann man sich momentan kaum vorstellen. Für die CDU ist das Lebensversicherung und Alptraum zugleich. Denn es sagt ja nicht nur, dass man die Konkurrenz gerade ganz gut im Griff hat, sondern eben auch, dass nicht viel bleibt, wenn man die übergroße Strahlkraft der Frontfrau mal in Abzug bringt. Womit man bei einem Problem angelangt wäre, denn eine Partei, die weder beim Personal echte Alternativen hat noch beim Programm Wegweisendes bieten kann, ist nicht gerade attraktiv. Die gerade wieder entbrannten Spekulationen um einen vorzeitigen Amtsverzicht Merkels mögen gehaltlos und bloß das Schaulaufen einiger Hauptstadtjournalisten sein. Doch machen sie deutlich, worauf es für Angela Merkel auch ankommt. Sie muss ihrer Partei und ihrer Kanzlerschaft jetzt eine Perspektive geben, wie sich Deutschland und Europa angesichts der Globalisierung entwickeln müssen. Die Kanzlerin hat gewiss keinen Mangel an den dafür notwendigen Überzeugungen. Doch selten spricht sie diese unüberhörbar aus. Und beklagenswert häufig lässt sie derzeit zu, dass ihre Regierung gegenteilige Politik betreibt. So hat die Große Koalition bisher vornehmlich Dinge beschlossen, die Merkels Überzeugungen von weiteren Reformanstrengungen widersprechen. Die Kanzlerin hat den Populismus jedoch geschehen lassen - und das ist alles andere als perfekt.
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