Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Affäre Edathy
Bielefeld (ots)
Und wenn die Affäre Edathy sang- und klanglos versandete? Das wäre wohl allen etablierten Parteien am liebsten. Der Union, weil dann eine Bruchstelle der Großen Koalition übertüncht wäre. Der SPD, weil die Affäre Glaubwürdigkeit und damit auch Stimmen kostet. Den Grünen, weil die Affäre zu sehr an ihre eigene Vergangenheit mit den pädophilen Neigungen erinnert. Den Linken, weil sie das rot-rot-grüne Lager insgesamt schwächt und damit die Perspektive einer gleichfarbigen Regierung in die Ferne rückt. Und überhaupt, so mag sich der eine oder andere sagen, was soll das Ganze wegen ein paar Knabenfotos? Die Affäre ist schlimm. Sie zeigt Abgründe im politischen Betrieb. Einer lügt bei der SPD, entweder Sebastian Edathy selbst oder sein früherer Parteifreund und Fachkollege Michael Hartmann. Auch der frühere BKA-Chef Jörg Ziercke, ebenfalls SPD-Mann, könnte wie SPD-Fraktionschef Oppermann zu dem Lügenkartell gehören. Jeder dieser Männer, die Vorbilder sein und der Wahrheit dienen sollten, steht im Zwielicht und ihre bürgerliche Existenz auf dem Spiel. Denn Strafvereitelung im Amt kann fünf Jahre Haft bedeuten. Die Affäre entwickelt sich zu einem Skandal der SPD. Die Sozialdemokraten sind besonders gefordert, die Wahrheit zu suchen und koste es personelle Opfer. Kameradschaft ist hier fehl am Platz. Bisher hat nur die CSU ein ebenso edles wie unnötiges Opfer gebracht, indem sie vor einem Jahr ihren besten Minister, Hans Peter Friedrich, zurücktreten ließ. Wenn es der SPD nicht gelingt, den oder die Lügner in ihren Reihen zu demaskieren, wird sie nicht nur für die jetzige Koalition zur Belastung, sondern auch für jede künftige. Wer will noch mit einer Partei regieren, der es egal ist, ob ihre Leute lügen? In der CDU schielt man schon unverhohlen zu den Grünen, obwohl die zwar nicht in dieser Affäre, aber sehr wohl bei diesem Thema belastet sind. Die Affäre aber ist auch deshalb schlimm, weil sie allgemein politisiert wird und deshalb der eigentliche Skandalgrund, Kinderpornographie und Pädophilie im Zentrum der Politik, möglicherweise verharmlost wird. Schon deswegen wären die Parteichefs gut beraten, aktiv die Aufklärung der Affäre zu betreiben, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Es darf nicht sein, dass Edathy Verständnis findet mit seiner These: falsch, aber legal. »Was moralisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein«, meinte schon vor 140 Jahren der britische Lord und Premier William Gladstone. Das positivistische Recht trägt auch in der Affäre Edathy faule Frucht. Das Rechtsempfinden in der Bevölkerung aber ist noch weitgehend normal, vielfach auch intakt. Es leuchtet nicht ein, dass Edathy legal Falsches getan hat. Das muss auch die SPD erkennen, wenn sie halbwegs unbeschadet aus dieser Affäre herauskommen will.
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