Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Israel
Bielefeld (ots)
Israel wählt heute ein neues Parlament. 120 Sitze sind in der Knesset zu vergeben. Eine Partei muss 3,25 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen, um den Einzug zu schaffen. Einmal mehr gilt der Urnengang als Schicksalswahl. Aber das ist ebenso übertrieben wie die Charakterisierung der Spitzenkandidaten: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist nicht der Falke und sein Herausforderer Jitzhak Herzog nicht die Taube.
Weil das Land so tief gespalten ist in Reich und Arm, streng gläubig und säkular, jüdisch und nicht-jüdisch, Siedler und Siedlungsgegner setzt Netanjahu konsequent auf das Thema, das den Zuspruch aller Israelis hat: Sicherheit. Ob er damit wieder Erfolg hat, scheint zumindest fraglich. Eine Mehrheit der Israelis wünscht sich einen normalen und vor allem bezahlbaren Alltag. Die Mittelschicht hat genug vom Alarm-Geschrei ihres Premiers, in dessen Amtszeit die Lebenshaltungskosten fast bis zur Unbezahlbarkeit gestiegen sind. Sollte Netanjahu Regierungschef bleiben, dann nicht wegen, sondern trotz seiner Angstmacherei. Sein Likud-Block kann mit bis zu 25 Mandaten rechnen. Laut letzter Umfragen könnte bei den Sitzen jedoch das Mitte-Links-Bündnis »Zionistisches Lager« um Jitzhak Herzog und die ehemalige Außenministerin Zipi Livni vorne liegen - und damit von Staatspräsident Reuven Rivlin als erste Partei den Auftrag erhalten, sich an der Regierungsbildung zu versuchen.
Die politische Landschaft ist so zersplittert wie Israel selbst. Am Ende stellt das Lager den Ministerpräsidenten, das die besten Möglichkeiten zur Koalitionsbildung hat. Dabei dürfte jede neue Regierung auf die Stimmen der Nationalreligiösen und Siedler angewiesen sein, um mindestens eine Mehrheit von 61 Abgeordneten zu stellen. Das weiß auch Herzog, der diese starken Gruppen nicht verprellen will.
Sollte der Sohn des früheren Staatspräsidenten Chaim Herzog gegen Nationalreligiöse und Siedler regieren wollen, am besten noch mit der arabischen Liste, würde die Radikalisierung der Gesellschaft fortschreiten. Da wäre ziviler Ungehorsam die mildeste Form des Widerstands. Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Regierung der Nationalen Einheit möglich, eine Große Koalition auf israelische Art. Dann wäre gewiss auch der ehemalige Sozialminister Mosche Kachlon im Kabinett. Seine Gruppierung für soziale Gerechtigkeit könnte bis zu zehn Sitze holen.
Aus europäischer Sicht hätte die Palästinenser-Frage eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf sein müssen. Doch Besatzung und Besiedlung des Westjordanlandes mit 650 000 Israelis und die Folgen für die Palästinenser finden in der politischen Debatte nicht statt. In seiner umstrittenen Rede vor dem US-Kongress erwähnte Benjamin Netanjahu die Palästinenser kein einziges Mal.
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