Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bahnstreik
Bielefeld (ots)
Folgende Szene spielte sich bei der sechsten Streikrunde der Lokführer ab - also Ende vergangenen Jahres. Etwa ein Dutzend Mitglieder der Gewerkschaft GDL haben sich vor einem Bahnhof postiert. Sie halten Plakate hoch, fordern mehr Geld. Plötzlich kommt ein wütender Bahnkunde auf sie zu, drückt einem der Männer einen Zehn-Euro- Schein in die Hand. »Darum geht's euch doch, oder?« Der Streikende ist überrascht, will das Geld nicht haben und lässt den Schein zu Boden trudeln. Die kleine Episode ist symptomatisch für die wohl härteste Auseinandersetzung zwischen der Deutschen Bahn und einem Teil ihrer Beschäftigten in den vergangenen Jahren, die in dieser Woche in die achte Streikwelle mündet. Längst ist klar, dass es der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) nicht allein um mehr Geld und weniger Arbeitszeit geht. Für derartige Forderungen haben die meisten Bürger Verständnis. Nein, GDL-Chef Claus Weselsky will die Machtposition seiner kleinen Gewerkschaft sichern. Dazu muss er etwa neue Mitglieder von der konkurrierenden und größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) gewinnen. Und die Zeit drängt. Denn das geplante Tarifeinheitsgesetz, das dem Einfluss von Kleingewerkschaften Schranken setzen will, soll in wenigen Wochen in Kraft treten. Es soll verhindern, was jetzt gerade passiert: Dass das Streikrecht für die Durchsetzung von Einzelinteressen missbraucht wird. Oder anders gesagt: Dass wenige Lokführer das halbe Land stilllegen können. Es scheint, als käme das Gesetz zu spät. Weselsky ist wild entschlossen, seine harte Linie durchzuziehen. Dabei nimmt er nicht nur den Ärger von Millionen Bahnreisenden in Kauf. Er fügt auch der Wirtschaft einen Schaden von mehreren hundert Millionen Euro zu. Die Bahn selbst ist betroffen, wenn die Kunden scharenweise zu den Fernbusunternehmen strömen. Die GDL erweist ihrem Arbeitgeber einen Bärendienst. Und das Schlimme ist: Von einer Schlichtung will Weselsky weiterhin nichts wissen. Damit hebelt der GDL-Chef eine seit Jahrzehnten ebenso gängige wie bewährte Streikkultur allein durch seinen Starrsinn aus. Dabei wäre die Schlichtung das letzte Mittel, zwei Streithähne ohne Gesichtsverlust zu einem Kompromiss zu bewegen. »Statt Deutschland lahmzulegen, brauchen wir ernsthafte Verhandlungen«, fordert auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Unklar ist die Rolle der Deutschen Bahn. Ist deren Personalvorstand Ulrich Weber ebenso Treiber des Konflikts? Es scheint, als führten die beiden ihren privaten Krieg. Die ständigen gegenseitigen Schuldzuweisungen erhärten den Eindruck. Es wäre das beste, die Verhandlungsführer beider Seiten auszutauschen. So jedenfalls kann es nicht weitergehen. Doch die Macht der Politik in Berlin ist begrenzt.
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