Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Kita-Streit
Bielefeld (ots)
Verdi-Chef Frank Bsirske hat am Anfang der Verhandlungen nicht weniger gefordert als eine generelle Aufwertung der Erzieher- und Sozialdienstberufe. Das ist jetzt sieben Monate her. Aus der Forderung nach zehn Prozent Lohnsteigerung sind nun im Schnitt 3,3 bis 3,73 Prozent geworden. Trotzdem soll es »spürbare Verbesserungen« geben. Der Verdi-Boss versteht sich in Schönfärberei - und dabei geht es ihm nicht nur um die Basis, sondern auch um sich selbst. Die Eckdaten des Kompromisses unterscheiden sich nicht elementar von den Vorschlägen aus dem Sommer. Diese hatte die Basis Bsirske um die Ohren gehauen. Nun sind es nur neun Millionen Euro mehr bei Gesamtkosten von 315 Millionen Euro, die die Kommunen berappen müssen, sollte die Basis diesmal zustimmen. Das ist kein großer Wurf. Zufrieden können Erzieherinnen und Sozialarbeiter damit nicht sein. Doch ihr Handlungsspielraum ist begrenzter. Standen die meisten Eltern lange während der Tarifverhandlungen klar hinter den Kita-Beschäftigten, bröckelte die Solidarität im Laufe der Zeit. Das liegt weniger daran, dass sie die Forderung nach mehr Gehalt nicht mehr unterstützen, sondern daran, dass sie mürbe sind. Sieben Monate Verhandlungen hießen auch vier Wochen Streik und die ständige Angst vor neuen Streiks. Die Stimmung in der Elternschaft wird so manche Erzieherin bei ihrer Abstimmung über den jetzigen, wenig durchschlagenden Kompromiss im Hinterkopf haben. Viele Betroffene werden es nicht wagen, einen solchen Beschluss noch einmal zu kippen. Damit rechnet Bsirske. Er hofft, dass die Kita-Beschäftigten dem Ende des Streits mehr Gewicht geben als der Tatsache, dass er sich mit seiner dreimal höheren Lohnforderung zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Hohe Forderungen sind in Gewerkschaftskreisen zwar Usus. Aber in diesem Falle schoss Bsirske über das Ziel hinaus. Er weckte unerfüllbare Erwartungen. Auch wenn er inhaltlich recht hat: Sozialberufe gehören aufgewertet. Dazu braucht es aber mehr als einen mittelmäßigen Tarifabschluss. Wenn Bankkaufleute oder Steuerberater mehr Wertschätzung genießen als Krankenschwestern oder Erzieher, stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Da hilft auch etwas mehr Geld nichts. Die Denke der Gesellschaft muss sich verändern. Leider ist auch der Verhandlungszeitpunkt mit Kommunen als Arbeitgeber der denkbar schlechteste. Sie ächzen unter dem Flüchtlingsstrom und scheuen jede finanzielle Mehrbelastung. Eine skurrile Lage: Schließlich sind gerade Kitas angesichts von immer mehr Flüchtlingskindern besonders förderungsbedürftig. Das war bei den Verhandlungen aber kein Thema. Für Bsirske geht es um alles. Da kann er noch so sicher tun. Wird sein jetzt ausgehandelter Kompromiss erneut von der Basis vom Tisch gefegt, ist seine Karriere als Verdi-Boss beendet.
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