Westfalen-Blatt: zum EU-Gipfel
Bielefeld (ots)
Die Hoffnung hat getrogen. Wer bisher geglaubt hatte, die Offenheit, Solidarität und Humanität der Wenigen würde einen überzeugenden Sog erzeugen, dem sich auch die übrigen EU-Mitglieder anschließen, hat sich getäuscht. Lediglich acht Staaten nehmen Flüchtlinge in wirklich nennenswerter Zahl auf. 20 Mitglieder dieser Wertegemeinschaft blocken ab. Die offene Drohung des österreichischen Bundeskanzlers, den Schwund an Solidarität mit einer Kürzung der EU-Beiträge zu beantworten, ist da nur allzu verständlich. Ob es am Ende bei einer Drohgebärde bleibt oder nicht, sei dahingestellt. Doch dieses Spitzentreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs entlarvt die Union erneut: Während die Bundeskanzlerin und die übrigen Willigen fast schon penibel die Checkliste der Möglichkeiten zur Eindämmung der Fluchtwelle abarbeiten wollen, werden die ersonnenen Instrumente wie Hotspots und der Aktionsplan mit der Türkei ein ums andere Mal sabotiert. So werden die Staaten, die sich mit Recht überlaufen fühlen, allein gelassen. Darunter eine große Zahl der Nettozahler, die also mehr Geld in Agrar- und Strukturfonds einzahlen, als sie herausbekommen. Dass diese nun ihre finanzielle Solidarität überprüfen wollen, erscheint fast schon zwangsläufig. Kein Wunder also, dass die Zahl derer, die sich für die Umbaupläne des britischen Premierministers David Cameron erwärmen, von Tag zu Tag größer wird. Die Idee eines reinen liberalen Marktes (aber ohne soziale Standards und erzwungene Aufnahme von Asylbewerbern) greift um sich. Dass ihre Vertreter ihr Anliegen noch mit einer deutlichen Abschottung auch gegen andere EU-Bürger würzen, fällt schon kaum mehr auf. Es ist die Wiederkehr des Nationalismus in neuen Gewändern. Verpackt in populäre Forderungen nach einem Bürokratieabbau in Brüssel - wer könnte schon dagegen sein? Tatsächlich aber bedeutet die angestrebte Reform nichts weniger als das endgültige Aus jeder Solidarität und die Rückkehr zu einem Europa der (mindestens) zwei Geschwindigkeiten. Das Konzept hat viel für sich. Seine Vertreter sollten aber auch einkalkulieren, wie es sich anfühlt, ohne Mitspracherecht vor den Türen jenes inneren Kerns zu stehen, der eine schnellere Integration durchzieht. Das mag für die, die dabei sind, erfreulich sein. Die übrigen sollten sich überlegen, ob sie künftig am Rand einer EU stehen, die ihnen davonläuft. Denn auch das muss jedem klar sein: Wer nicht dabei ist, wird auch nicht mehr unterstützt. Die Flüchtlingskrise hat die EU beschädigt, die Auswirkungen der Spaltung werden die Union verändern. Wie weit das geht, dürfte die anschließende Diskussion um die Reformen zeigen, auf die London drängt. Die Drohungen bei diesem Gipfeltreffen wiegen schwer.
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