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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Flüchtlingszuzug

Bielefeld (ots)

Politiker sprechen gerne davon, sie wollten die Bürger »mitnehmen«. Das ist ihnen in diesem Jahr über große Strecken nicht geglückt. Oft konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie für Flüchtlinge möglich machten, was ihnen noch vor Jahren unbezahlbar schien - oder sie schlichtweg nicht interessierte. Seit Schülergenerationen erleben Eltern den Unterrichtsausfall in NRW. Doch die Schulministerien sämtlicher Couleur redeten das Problem immer klein. Von einer regelmäßigen Erhebung der Fehlstunden wollte niemand etwas wissen. Nun sind die Flüchtlinge da, und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Die Grünen) schafft über Nacht 2625 Lehrerstellen. Wohlgemerkt: Bei 40 000 erwarteten Flüchtlingskindern im Jahr 2015 sind mehr Lehrer nötig. Aber das waren sie vorher auch schon. Ähnlich sieht es beim Bau günstig zu mietender Wohnungen aus, für den sich Privatinvestoren schon lange nicht mehr interessieren, weil überbordende Bauvorschriften die Objekte einfach zu teuer machen. Eine Folge: Etliche ärmere Menschen müssen in Wohnungen leben, die Investmentfirmen gehören, die sich gelegentlich einen Dreck darum scheren, ob die Heizung funktioniert oder die Wände feucht sind. Auch Studenten wissen davon zu berichten, dass günstige Wohnungen einfach nicht zu finden sind. Nun sind die Flüchtlinge hier, und die Politik wacht auf. Plötzlich wird der Wohnungsmangel zum Thema. Landesbauminister Michael Groschek von der SPD schwebt vor, dass in den nächsten zwei Jahren 120 000 günstige Wohnungen entstehen. Und damit die Wohnungswirtschaft mitmacht, bietet das Land nicht nur billige Darlehn, sondern sogar Tilgungsnachlässe. Und: Das Baurecht soll gelockert werden. Warum ist NRW seiner eigenen Bevölkerung nicht schon vor Jahren so entgegengekommen? Die bloße Zahl der Asylbewerber kann nicht der Grund sein. Selbst mit den 230 000 Flüchtlingen von 2015, die NRW erst einmal behalten wird, haben wir weniger Einwohner als vor zehn Jahren, als mehr als 18 Millionen Menschen in NRW lebten. Ist es also überzogenes Gutmenschentum, das viele Politiker auf einmal so großzügig sein lässt? Oder ist es immer noch die deutsche Vergangenheit? Die Bürger »mitnehmen« - das geht anders. Vor allem die Ärmsten vergisst die Politik im Moment, denn sie sind als Kunden der Tafeln direkt vom Flüchtlingszuzug betroffen. Viele Tafeln können ihnen nur noch halb so viele Lebensmittel wie früher geben, weil sich nun auch Flüchtlinge in die Schlangen einreihen. Und bisher gibt es kein staatliches Programm, das hier hilft. Die Flüchtlinge können am wenigsten dafür, dass der Staat sein Füllhorn für sie öffnet, trotzdem werden sie jetzt vielerorts zum Gegenstand einer Neiddebatte. Daran ist die Politik mit ihrer gelegentlich unreflektierten »Willkommenskultur« nicht ganz unschuldig.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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