Westfalen-Blatt: zu Köln
Bielefeld (ots)
Nach einer Woche voller Halbwahrheiten und Beschwichtigungen ist Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers seinen Job los. Seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand kann nicht überraschen. Die Probleme aber, die nach den Ereignissen in der Silvesternacht offenbar wurden, sind dadurch nicht gelöst. »Politisch heikel« - mit dieser Begründung soll ein verantwortlicher Dienstgruppenführer ursprünglich die Herkunft der rund um den Hauptbahnhof kontrollierten Männer verschwiegen haben. Politisch heikel ist es aber einzig und allein, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Die halbe Wahrheit ist das ganze Elend. So ein Vorgehen nützt niemandem etwas und schadet besonders all jenen, die aus bloßer Angst um ihr Leben nach Deutschland geflüchtet sind und sich hier nach Kräften bemühen, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Nun ist der Schaden riesengroß, und er wird kaum gutzumachen sein. Den Schaden haben zuerst die Frauen, die an Silvester Opfer wurden. Sie sind an Leib und Seele verletzt worden. Den Schaden hat jeder Einzelne von uns. Die Frage lautet: Wo kann man sich zu welcher Tageszeit noch halbwegs sicher bewegen und wo bleibt man besser weg? Und den Schaden hat die gesamte Gesellschaft. Die Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen, über Chancen und Risiken der Integration wird fortan in einem vollends vergifteten Klima geführt werden. Der Generalverdacht ist im Raum. Dabei gibt es sexualisierte Gewalt auch beim Oktoberfest und zu Karneval. Auch unser Kulturkreis ist voll von Übel. Experten weisen zudem stets darauf hin, dass die meisten Taten im familiären Umfeld passieren. Stimmt alles, macht aber nichts besser. Kein Unrecht kann ein anderes rechtfertigen. Zudem ist Köln kein Einzelfall. Liest man, was der Sicherheitschef einer Bielefelder Diskothek dem WESTFALEN-BLATT anvertraut hat, kann einem auch im vermeintlich beschaulichen Ostwestfalen-Lippe Angst und Bange machen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit scheint die Politik nun zu reagieren. Von mehr Videoüberwachung über verschärfte Ausweisungsregeln für straffällige Asylbewerber bis hin zu Haftverbüßung im Heimatland scheint in einer hektischen Debatte beinahe alles vorstellbar. Schon hat ein neuer Überbietungswettbewerb eingesetzt. »Willkommenskultur« war gestern, jetzt heißt es: Wer stellt die schärfsten Forderungen auf? Das steht natürlich nicht unmittelbar im Widerspruch zu dem ernsthaften Bemühen, Integration möglich zu machen, wirkt aber trotzdem wie eine Ersatzhandlung. Dabei sollte das Einhalten unserer Regeln und Gesetze die Grundlage allen politischen Handelns sein und nicht aktionistische Konsequenz. Wer erst sagen muss, dass unser Strafrecht für alle gilt, hat schon ein handfestes Problem. Warum sonst sollte man sich bemüßigt fühlen, eine solche Selbstverständlichkeit zu betonen? Wenn leitende Polizeibeamte meinen, es sei ratsam, in der Öffentlichkeit nicht nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu geben, dann ist etwas faul in unserem Land. Längst stehen Politiker, Behördenvertreter und auch wir Journalisten unter Verdacht. Da ist von »Schweigekartellen« und »Gesinnungsterror« die Rede, die Verschwörungstheoretiker haben Hochjunktur. Kurz: Der Kampf um und für die Mehrheitsgesellschaft ist in vollem Gange. Führen wir ihn weiter so stümperhaft und inkonsequent, wird die Lage tatsächlich politisch heikel.
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