Westfalen-Blatt: zur Landwirtschaftskrise
Bielefeld (ots)
Was ist das nun? Eine Spätfolge der so oft kritisierten Milchseen und Butterberge? Oder der Preis für die Marktwirtschaft? Viele Milchbauern leben nicht mehr, sie überleben nur noch. Preise unter 30 Cent, die sie noch vor Jahren auf die Straßen trieben, reichen zwar auch kaum, um einen mittelständischen Betrieb rentabel führen zu können. Doch nun bekommen sie nicht einmal mehr 20 Cent. Weil zu viel produziert wird. Weil ein Ausgleich fehlt. Weil Staat und EU mit sich nicht über ein neues System der Mengenbegrenzung wie die abgeschaffte Milchquote mit sich reden lassen. Und weil Molkereien und Einzelhandel alles billiger macht. Der Verbraucher mag sich freuen, wenn die Preise purzeln. Doch das ist eine Milchmädchen-Rechnung, wenn der Staat dreistellige Millionensummen in die Hand nehmen muss, um Höfe zu stabilisieren. Eine gesunde landwirtschaftliche Struktur sieht anders aus. Natürlich könnte sich die Branche verpflichten, die Milchmenge zu begrenzen. Doch wer von dem weißen Gold leben muss, braucht mehr Umsatz - nicht weniger. Und eine solche freiwillige Quote wirkt erst, wenn wieder einige Höfe mehr gestorben sind. Dabei wissen die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten sehr wohl, dass es nicht reicht, die Bauern sozusagen zu Angestellten zu machen, weil sie ja ganz nebenbei auch noch die Landschaft pflegen. Seit vielen Jahren enthalten die EU-Stellungnahmen vielversprechende Analysen über den gesamten Markt - vom Hersteller über die verarbeitenden Betriebe bis hin zu den großen Einzelhandelsketten. Hinzu kommt, dass die Produzenten auch noch als Bauernopfer die Auswirkungen des russischen Lebensmittel-Embargos ausbaden müssen und mit scharfer Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu kämpfen haben. Die EU (und das heißt vor allem die Kunden und Verbraucher) müssen wissen, dass die Herstellung gesunder Lebensmittel, dass artgerechte Tierhaltung und immer neue Kontrollauflagen Geld kosten. Deutlicher als in vielen anderen Branchen steht die Union tatsächlich vor der Frage, ob sie die Kostenexplosion bei der Herstellung nicht auch mit verursacht und damit die Bauern unfähig für Konkurrenz gemacht hat. Damit stellt sich sehr wohl die Frage, ob man die Hersteller nicht entschädigen oder unterstützen muss. Es geht nicht um neue Milchseen, sondern um deren Verhinderung. Wer darin einen Bruch mit den Gesetzen des freien Marktes sieht, hat Recht. Aber ein freier Wettbewerb, bei dem am Ende der Staat doch wieder in die Tasche greifen muss, hat mit beihilfefreier Herstellung auch nichts zu tun.
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