Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Mindestlohn
Bielefeld (ots)
So viel Harmonie findet man in Tariffragen selten: Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter einigen sich einhellig auf die Erhöhung des Mindestlohns. Der Stundensatz von 8,84 Euro liegt exakt in der Mitte des zuvor abgesteckten Korridors. Die Politik tat gut daran, das hoch umstrittene Thema in die Tarifkommission auszulagern. Die Lösung wurde schnell und vor allem geräuschlos gefunden. Die Mindestlohndebatte - ein Sturm im Wasserglas? Fakt ist: Selbst die schärfsten Kritiker müssen anderthalb Jahre nach Einführung der Lohnuntergrenze einräumen, dass die befürchteten Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt weitgehend ausgeblieben sind. Einem Minus bei den Minijobs steht ein Aufwuchs bei regulären Beschäftigungsverhältnissen gegenüber. Arbeitsmarktforscher gehen davon aus, dass aus etwa jedem zweiten entfallenen Minijob eine reguläre Stelle geworden ist. Das tut nicht nur den Beschäftigten gut, sondern auch den Sozialkassen. Fakt ist auch: Etwa fünf Millionen Beschäftigte haben nach Berechnung von gewerkschaftsnahen Arbeitsmarktexperten vor Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. Weit verbreitet waren Mini-Löhne in den neuen Bundesländern. Solchen Dumping-Praktiken ist nun ein Riegel vorgeschoben. Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass der Mindestlohn Gefahren birgt und Fehler in der Sozial- und Bildungspolitik nicht ungeschehen macht. Wer einen Vollzeitjob im Mindestlohnsektor hat - und das sind gewiss nicht die Arbeitskräfte mit dem höchsten Ausbildungsniveau - erhält demnächst 2,72 Euro pro Tag mehr. Das Kernproblem aber bleibt: Weder lässt sich damit eine Familie ernähren, noch wird eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus ermöglicht. Dazu müsste der Mindestlohn nahezu verdoppelt werden. Zigtausende Jobs würden unrentabel - und die Mindestlöhner arbeitslos. Das kann auch der Gesetzgeber nicht wollen. Zudem erfolgt die Zwischenbilanz zu einem Zeitpunkt, da die Wirtschaft brummt und die Inflation bei null liegt. Zwei, drei Euro mehr beim Friseur, im Taxi oder im Blumenladen lassen sich derzeit leicht verschmerzen. Ob aber der Aufschwung anhält, muss nicht zuletzt angesichts des Brexit-Bebens bezweifelt werden. Und die Unternehmen? Für viele, wenn auch nicht für alle Arbeitgeber sind nicht die zusätzlichen 34 Cent pro Stunde das Hauptärgernis, sondern die ungezügelte Bürokratie. Die geforderte Dokumentation der Arbeitszeiten zieht einen so hohen Aufwand nach sich, dass allein dadurch ein Hilfsjob unrentabel werden kann. Diese bürokratischen Hürden muss Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) rasch beseitigen, soll sich der Mindestlohn nicht doch noch als Jobkiller erweisen.
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