Westfalen-Blatt: zur Flüchtlingskrise
Bielefeld (ots)
Es dauerte gut sechs Monate, bis Angela Merkel sich auch auf europäischer Ebene zuversichtlich zeigen mochte und ihrem berühmten deutschen Satz »Wir schaffen das« eine EU-Variante (»Europa schafft das«) hinzufügen konnte. Es war der 18. März 2016, an dem der Türkei-Deal zustande kam. Die Bundeskanzlerin konnte zufrieden sein, sah doch alles danach aus, dass nur wenige Wochen nach dem Versiegen des Flüchtlingsstroms über die Balkanroute auch der Weg über die Türkei nur noch für vorher kontrollierte Zuwanderer frei sein würde. Die Operation gelang, allen Unkenrufen zum Trotz. Europa verharrte nicht tatenlos. Dieser Eindruck ist im Rückblick auf das zurückliegende »Wir schaffen das«-Jahr falsch. Binnen weniger Wochen stampfte die EU einen Plan zur Verstärkung der Grenzschutzagentur Frontex aus dem Boden, paukte ihn durchs Parlament und hat nun sogar die Zusage von den Mitgliedstaaten, zusätzliche Sicherheitsbeamte dorthin zu schicken, wo die Grenzkontrolle und Erfassung der Fliehenden lückenhaft sind. Die Kommission präsentierte einen Ersatz für das de facto pulverisierte bisherige Dublin-System, gemäß dem ein Flüchtling dort registriert und aufgenommen werden muss, wo er seinen Fuß auf europäischen Boden setzt. Künftig sollen EU-Behörden die Aufnahmerituale der Mitgliedstaaten übernehmen und die Asylberechtigten verteilen - nach festen Quoten. Das Konzept ist so ambitioniert, dass es zunächst gescheitert ist. Bis heute. Dennoch war Dublin längst abgeschaltet, Schengen auch. Aus Angst vor einer unkon-trollierbaren Welle illegaler Zuwanderer führten die EU-Staaten gleich reihenweise wieder Grenzkontrollen ein. Denn Europa hatte neben den ungelösten Problemen durch die Flüchtlinge auch den Terror zu spüren bekommen. Nach den Anschlägen in Paris, Brüssel und Nizza, nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten schwenkte die Stimmung vollends auf die Frage um, wie sich die Gemeinschaft vor denen schützen könne, die Asylberechtigte als Trojanisches Pferd nutzten, um nach Europa zu einzureisen. Aus dem »Wir schaffen das« war in der EU ein verzweifelter Kampf gegen die brutale Gewalt geworden Europa hat es noch nicht geschafft. Aber das liegt nicht an den Mitgliedstaaten oder der EU, sondern an der internationalen Diplomatie, die die Konflikte und damit die Ursachen der Flucht bisher nicht entschärfen konnte. Und andere Hilfe von außen ist selten. Dass die USA sich jetzt bereiterklärt haben, 10000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, darf als ein wichtiges Zeichen gewertet werden. Aber es bleibt eben leider nur ein Einzelfall. Ob Europa es schafft oder schaffen kann?
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