Westfalen-Blatt: zum Thema "Deutsche Sorgen"
Bielefeld (ots)
Es ist überhaupt kein Widerspruch, den die Allensbach-Umfrage aufzeigt: Wer ein zufriedenes Leben in Wohlstand führt, kann sich sehr wohl Sorgen um die gesellschaftliche Entwicklung machen. Vielleicht sind die Befürchtungen ja gerade bei denen groß, die es gut haben. Und wer sagt eigentlich, dass persönliches Wohlergehen den Blick für das trübt, was in diesem Land geschieht? Wenn Meinungsforscher der »Generation Mitte« den Puls fühlen, sehen sich Politiker die Ergebnisse ganz genau an. Die 30- bis 59-Jährigen sind das Gerüst der Gesellschaft. Sie sind berufstätig, zahlen Steuern und Sozialbeiträge, bauen Häuser und gründen Familien - oder haben dies schon hinter sich. Sie sind die, die das Land am Laufen halten. Was aber die Menschen der »Generation Mitte« vor allem sind: Eltern und Großeltern, die sich um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel sorgen. Ihnen geht es nicht ums Geld. Der Staat und seine Regierung haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als deutlich gemacht, dass ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind. Ganz plötzlich sind die Milliarden da, die vor dem 4. September 2015 nicht da waren: nicht für Brücken und Straßen und nicht für Kita-Ausbau und Schulsozialarbeiter. Für die Flüchtlinge nimmt der Staat Geld in die Hand, ohne neue Schulden zu machen - dank der guten Konjunktur, die nicht auf ewig anhalten wird. Das hat bei manchen Leuten ein gefährliches Grundgefühl erzeugt: dass die Flüchtlinge der Regierung womöglich mehr wert sein könnten als die einheimische Bevölkerung. Im vergangenen Jahr haben viele Deutsche ihren bislang beinahe pathologischen Glauben an die Bürokratie und ihre Abläufe verloren - und sie sind von der Wirtschaft, die im Zustrom von mehr als einer Million Menschen ein »zweites Wirtschaftswunder« erkennen wollte, enttäuscht worden. Bis Anfang Juni haben die 30 Dax-Konzerne 54 Flüchtlinge eingestellt - ein Witz. Die Sorgen vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise sind alles andere als diffus und alles andere als unberechtigt. Das scheint man mittlerweile auch im Kanzleramt begriffen zu haben. »Deutschland wird Deutschland bleiben«, verspricht Angela Merkel. Mit diesem Satz zeigt die Kanzlerin, dass ihr die Ängste in der Bevölkerung bekannt und bewusst sind. Sonst hätte sie diesen Satz nicht gesagt. Vielleicht wissen ihre Berater, dass ein Teil der Deutschen den Verlust ihrer Identität im eigenen Land befürchtet - ob zurecht oder nicht. Und das müssen eben nicht nur AfD-Anhänger sein. Die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage geben ein ziemlich genaues Stimmungsbild ab. Die Resultate scheinen paradox, sind es aber nicht. Es geht eben nicht immer allen nur ums Geld. Es gibt Dinge, die viel wichtiger sind.
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