Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum EU-Gipfel
Bielefeld (ots)
Für ein paar Stunden sah es so aus, als habe die EU ihre Stärke und Geschlossenheit wiedergefunden. Doch die Angst, Russland zu verärgern, ließ die 28 Staats- und Regierungschefs einknicken. Kein mutiges Signal Richtung Moskau, seine unmenschlichen Angriffe auf Aleppo einzustellen.
Wie unfassbar der Zickzack-Kurs der EU-Chefs ist, zeigen die nächtlichen Worte der Kanzlerin: Falls die Angriffe in Syrien gegen die Zivilbevölkerung in der bisherigen Intensität fortgesetzt würden, »dann ist das schon ein Grund, sich zu überlegen, was tun wir jetzt.« In Aleppo sterben jeden Tag hunderte Menschen unter Fassbomben und im Geschützfeuer. Und die EU will wirklich weiter zusehen und erst dann »überlegen«?
Es ist das Bild einer verzagten, ja sogar handlungsunfähigen Union, die im Zweifel selbst vor einem Aggressor kuscht und ihre so oft beschworenen Werte zurückstellt. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Unfähigkeit, den Ceta-Streit zu lösen. Es ist keine Frage, dass es der Respekt vor der föderalen Verfasstheit eines Mitgliedsstaates gebietet, auch das Votum eines in dieser Frage mitentscheidenden Regionalparlamentes zu akzeptieren. Aber dieser Protest war nicht überraschend, sondern zeichnete sich schon seit Monaten ab. Allerdings kümmerte sich niemand ernsthaft um die Bedenken der wallonischen Volksvertreter - dafür steht nun die gesamte Union blamiert da.
Hinzu kommt eine zum Ausstieg entschlossene britische Premierministerin Theresa May, die ankündigt, Beschlüsse aus dem Kreis der 27 zu torpedieren. In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden wird 2017 neu gewählt. Die Zukunft des italienischen Regierungschefs ist ebenso offen wie die des spanischen Ministerpräsidenten. Dass sich die EU ausgerechnet in solchen Wechseljahren regeneriert, erscheint schwer vorstellbar. Mit anderen Worten: Das Bild einer schwerfälligen, wenig schlagkräftigen und dann auch noch widersprüchlich agierenden Union dürfte sich verstärken.
Wie so ein Bund Putin beeindrucken, globale Konflikte beeinflussen und politisch wegweisende Entscheidungen fällen soll, ist nicht zu erkennen. In diese Zeit fällt dann noch der Beginn der Brexit-Verhandlungen. Genau genommen präsentierte sich die Gemeinschaft in miserabler Verfassung: zerrissen, gespalten, uneinheitlich. Man mag auf die deutsche Kanzlerin und den französischen Staatspräsidenten aus vielen Gründen schimpfen. Aber die Frage, wer das Gewicht hat, eine europäische Führungs- oder wenigstens Moderatorenrollen zu übernehmen, wenn nicht Deutschland und Frankreich, bleibt offen. Europas Dilemma besteht darin, dass es trotz aller Vergemeinschaftung am Ende nationale Leitwölfe braucht, hinter denen man sich sammeln kann.
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