Westfalen-Blatt: zur Gauck-Rede
Bielefeld (ots)
Diese Stimme wird fehlen. Mit seiner »Deutschstunde« hat Bundespräsident Joachim Gauck gestern noch einmal eindrucksvoll bewiesen, was ein Staatsoberhaupt in unserer Republik leisten kann. Er hat dem Amt nicht nur seine Würde zurückgegeben, sondern ihm eine neue Wertigkeit verliehen. Gauck fordert Haltung, und er zeigt sie. Er ist ein Patriot im besten Wortsinne. Auf Frank-Walter Steinmeier warten große Fußstapfen. Joachim Gauck - dieser Pastor ohne Parteibuch ist in den vergangenen fünf Jahren nie der Versuchung erlegen, sich mit den Bürgern gegen die Politik zu verbünden. Parteiisch ist der Bundespräsident dennoch seine gesamte Amtszeit über gewesen. Auch gestern. Er ergreift Partei für unser Land. Gauck lobt all das Positive, das im Alltag so leicht aus dem Blick zu geraten droht. Er preist zu Recht die Leistungskraft und die Möglichkeiten, die Deutschland allen hier lebenden Menschen bietet, ohne blind zu werden für die Schwachpunkte, die es auch und immer noch an zu vielen Stellen gibt. Es klingt wie eine Liebeserklärung, wenn er sagt: »Dieses Land ist die Heimat meiner Werte.« Aber es ist keine bloße Schwärmerei, denn Gauck belässt es nicht dabei. Seiner Hommage wohnt ein unüberhörbarer Appell, eine ernste Mahnung inne. Gauck wird deutlich und benennt die Gefahren, denen unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat gerade aktuell ausgesetzt ist. Er spricht von Hass im Netz und auf Fremde - und unmittelbar schießt einem die abscheuliche Dresdener Rede des AfD-Politikers Bernd Höcke in den Sinn. Er spricht vom Terror und scheut sich nicht, einen klaren Standpunkt zu beziehen. »Mehr Sicherheit ist keine Gefahr für die Demokratie«, sagt ausgerechnet der, der die Freiheit zu seinem Lebensmotto gemacht hat. Er spricht von nationalstaatlichen Egoismen und fordert sein Land abermals auf, sich international mehr zu engagieren - auch militärisch. Dabei hatte gerade das ihm schon vor zwei Jahren den törichten Vorwurf eingebracht, ein Kriegstreiber zu sein. Nein, zu bequem will es Joachim Gauck weder sich noch seinen Landsleuten machen. Er bleibt streitbar bis zum Schluss. Und fordert den konstruktiven Streit, an dem unser Gemeinwesen nur wächst. »Wie soll es aussehen, unser Land?«, hatte Gauck in Erinnerung an seine Amtseinführung 2012 gefragt. Mit seiner Rede hat er die Frage an sein Publikum weitergereicht - nicht nur an das im Schloss Bellevue. Er stellt sie jedem von uns. Er fordert uns auf, selbst nachzudenken, selbst zu handeln und sich zu engagieren. »Demokratie ist nicht nur, Demokratie wird«, nennt es der Bundespräsident. Ein Satz, der nachhallt. Wie ein Vermächtnis. Wir sollten ihn sehr ernst nehmen, denn es gibt leider allen Grund dazu!
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