Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur SPD
Bielefeld (ots)
Für Spötter ist dieses Ergebnis eine einzige Enttäuschung. Seit Wochen berauscht sich die SPD so sehr an Martin Schulz, dass man gestern ein Resultat von mehr als 100 Prozent hätte erwarten müssen. Doch im Ernst: Einstimmig ist noch nie ein SPD-Vorsitzender gewählt worden. Auch 13.000 neue Mitglieder sind eine Menge. Das Wichtigste aber: Die Partei schöpft Hoffnung, dass gegen Angela Merkel womöglich doch ein Kraut gewachsen sein könnte. Hinzu kommt der Aufwärtstrend in den Bundesländern, in denen demnächst gewählt wird. Im Saarland scheint plötzlich die Regierungsübernahme möglich, und auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dürfte ihr Glück kaum fassen können. Ausgerechnet die Frau, die unbedingt wollte, dass Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat für die SPD antritt, könnte jetzt die größte Nutznießerin des Schulz-Effekts werden. Apropos Gabriel: Der scheidende Vorsitzende hielt sich gestern nicht ans Protokoll. Seine Rede war - gemäß der Parteitagsregie - nicht nur viel zu lang, sondern sie fiel auch reichlich programmatisch aus. Da hatte einer offenkundig noch etwas zu sagen. »Lieber nicht zu viel versprechen« war ein Ratschlag, auf den Schulz sicher gern verzichtet hätte. Ein zweiter hieß: »Lasst Euch nicht einreden, die SPD sei eine reine Verteilungspartei.« Auch der 91-jährige Hans-Jochen Vogel mahnte per Videobotschaft, dass noch nichts gewonnen sei. Sein Appell zudem: Haltet zusammen - sechs Monate Wahlkampf können lang werden. Was zweifelsohne auf keine Partei so zutrifft wie auf die SPD. Zu oft haben sich die Sozialdemokraten in jüngerer Vergangenheit selbst zerlegt. Kein Wunder also, dass Schulz wieder jede programmatische Festlegung vermied. Mit wem er was genau durchsetzen will, bleibt offen. Eine Wunschkoalition hat er nicht benannt und erst recht keine Option ausgeschlossen. Schon zuvor hatte er dafür gesorgt, dass der Dortmunder Programmparteitag auf Juni und damit deutlich nach hinten verschoben wird. Autosuggestion ist bei der SPD aktuell das Gebot der Stunde. Angesichts der langen Durststrecke auf bundespolitischer Ebene ist das verständlich. Bis zur Bundestagswahl am 24. September wird dieser Kurs freilich nicht tragen. Doch gestern hat die SPD erst einmal alles Hadern und alle Selbstzweifel - Agenda 2010 inklusive - auf Martin Schulz geworfen, dem sie beinahe blind zu folgen scheint. Es grenzt ans Irrationale. Doch im Moment sieht es so aus, als könne dieser alle Last spielend tragen. Mensch, Martin! Dieser Mann scheint den Sozialdemokraten ein einziges Versprechen zu sein, dass für die Partei »die guten, alten Zeiten« zurückkommen. Ob das so bleibt, ist eine andere Frage. Und ob es so kommt, erst recht. Die Fallhöhe ist immens - für Martin Schulz und für die SPD.
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