Westfalen-Blatt: zum Anschlag in Kabul
Bielefeld (ots)
Ach, Afghanistan! Ach, der Irak! Mit Stoßseufzern wie diesen werden die Terroranschläge in Regionen wie diesen gern abgehakt. Wir haben schließlich genug Anschläge in Europa. Da sind uns Brüssel, Berlin, Paris, Stockholm und Manchester einfach näher.
So verständlich das allgemeine Verdrängen ist, weil wir, wie es heißt, nicht alles Leid der Welt auf uns nehmen können: Auf diese Weise wird Europa seiner Mitverantwortung für diese Länder nicht gerecht. Die westliche Allianz hat es nicht geschafft, die Taliban militärisch zu besiegen und dem Land politische Stabilität zu geben. Es befindet sich weiter im Krieg - auch wenn das Wort hierzulande bisweilen gern gemieden wird.
Dass uns dieser Anschlag mehr berührt als der Terror der vergangenen Woche an gleicher Stelle hat zwei Gründe: Erstens die auch für Afghanistan hohe Zahl von mindestens 80 Toten und Hunderten Verletzten bei einem einzigen Anschlag. Und zweitens der Ort nahe der deutschen und der französischen Botschaften. Das erinnert daran, dass am Hindukusch immer noch 900 Bundeswehrsoldaten ihren Dienst tun. Angestellte des deutschen Staates sind Opfer des Anschlags.
Es ist gerade mal ein Vierteljahr her, da hat der Bundesinnenminister die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan damit begründet, dass es »sichere Gebiete im Norden und auch in Teilen Kabuls« gebe. Bei dieser Einschätzung blieb er auch noch Ende April, als bei einem Taliban-Angriff in der Nähe von Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr lange Zeit ein Hauptquartier unterhielt, mindestens 50 Soldaten der afghanischen Armee getötet und 76 zum Teil schwer verletzt wurden.
Wer jetzt noch behauptet, es gebe in Afghanistan sichere Orte, belügt sich und andere. Er tut es aus Gründen der deutschen Innenpolitik. Mindestens 40 Prozent Afghanistans stehen heute wieder unter der Herrschaft der Taliban. Als weitere Akteure treten der IS und etwa 18 weitere islamistische Terrororganisationen auf. Dort, wo sie gerade nicht sind, befehlen Warlords und Drogenhändler.
Immerhin hat die Bundesregierung gestern als ersten Schritt die Gruppenabschiebungen in das Kriegsland gestoppt. Das sichert zumindest den 12.000 afghanischen Flüchtlingen, denen in Deutschland akut die Abschiebung droht, die vorläufige Weiterexistenz. Die Probleme am Hindukusch selbst sind damit nicht gelöst. Dazu braucht es neue Verhandlungen, viel Geduld, schwierige Kompromisse, ziemlich viel Geld und vermutlich auch noch viele Jahre militärische Präsenz. Doch die Alternative wäre, das Land den Islamisten zu überlassen. Damit würde sichergestellt, dass der internationale Terror auch künftig außer dem Nahen und Mittleren Osten über eine weitere Quelle verfügt, aus der er sich permanent personell erneuert.
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