Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Türkei
Bielefeld (ots)
Geht's noch? Nein, es geht nicht mehr.
Das Regime des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat eine Grenze überschritten, hinter der sich die deutsche Politik nicht mehr auf Versuche, zu deeskalieren, beschränken darf. Es gab Gründe, auf die Beleidigungen und Brüche des internationalen Völker- und Menschenrechts nicht schon früher mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Dazu gehörte die lange, inzwischen aber zu Ende gegangene Geschichte der Annäherung der Türkei an den Westen seit Kemal Atatürk. Die Idee eines Brückenpfeilers in die islamische Staatenwelt, die Mitgliedschaft in der Nato, die EU-Beitrittsgespräche und die engen wirtschaftlichen Beziehungen bremsten die Streitlust. Enge persönliche Beziehungen insbesondere seitens der in Deutschland lebenden türkischen Migranten und Migrantenkinder, aber auch die überwiegend positiven Erfahrungen deutscher Türkei-Urlauber in zurückliegenden Jahren hielten den Glauben wach, Erdogan werde schon noch Vernunft annehmen. Er hat es nicht, er will es nicht, und bald kann er es nicht mehr - auch weil er aus innenpolitischen Gründen ein Feindbild aufgebaut hat, das, wenn er davon abkehren würde, ihm nun von innenpolitischen Gegnern als Schwäche ausgelegt werden könnte. Dass Kanzlerin Angela Merkel, von Frank-Walter Steinmeier unterstützt, solange er Außenminister gewesen ist, soviel Geduld gegenüber Erdogan aufbrachte, liegt zudem am Flüchtlingsabkommen. Von ihm profitiert allerdings die Türkei viel mehr als Deutschland. Irgendwann reißt auch der stärkste Geduldsfaden. Im Falle Russlands war dieser Punkt bei der Besetzung der Krim erreicht. Jetzt markieren die völlig willkürlichen Verhaftungen auch deutscher Staatsbürger und die Unterstellung, dass Daimler, BASF und andere Unternehmen Terroristen unterstützen, einen Punkt, an dem Mäßigung nur noch als Schwäche ankommt. Erdogan muss klar sein: Er verbaut jetzt Wege, für die die Türkei unendlich lange brauchen wird, um sie wieder zu öffnen. Die Inhaftierung Unschuldiger, um sie gegen im Ausland lebende mögliche Anhänger der Gülen-Bewegung einzutauschen: Das ist, auch wenn das Ansinnen Außenminister Sigmar Gabriel zufolge noch nicht »offiziell« vorgetragen wurde, ein Vorgehen, wie man es sonst nur von der Mafia und anderen kriminellen Organisationen kennt. Nachdem Hermes-Bürgschaften schon in Frage gestellt wurden, sind Handelssanktionen der nächste Schritt. Sie machen Sinn, wenn der Westen sie auf breiter Basis beschließt. Warum EU-Gelder, die im Rahmen der auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen vereinbart wurden, immer noch gezahlt werden, ist ohnehin niemandem verständlich zu machen. Weitere Möglichkeiten zur Reaktion auf deutscher Seite sind begrenzt. Umso mehr sind jetzt EU und Nato gefordert.
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