Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum CDU-Vorsitz
Bielefeld (ots)
Noch einmal die ganz große Parteitagsbühne, noch einmal der ganz große Applaus, dann nimmt für Angela Merkel der Abschied von der Politik konkrete Formen an. Heute Abend wird die Kanzlerin nicht mehr CDU-Vorsitzende sein. Damit geht eine Ära zu Ende. 18 Jahre hat Angela Merkel die Partei geführt. 18 Jahre - eine Zeit, in der die SPD zehn Vorsitzende verschlissen hat.
Angela Merkel hat »ihrer« CDU viel zugemutet. Vor allem, nachdem sie 2005 auch Bundeskanzlerin war. Immer wieder wurde die »Sozialdemokratisierung« der Partei beklagt. Viele werfen Merkel bis heute vor, für den Machterhalt den »Markenkern«, ja das »Konservative« der CDU geopfert zu haben, abrupte Richtungswechsel wie beim Atomausstieg, dem Aussetzen der Wehrpflicht und der Ehe für alle inklusive. Dieser Vorwurf ist so richtig, wie er falsch ist. Richtig ist, dass es Angela Merkel zu oft an der rhetorischen Kraft und Ausdauer hat fehlen lassen, die nötig gewesen wäre, um ihre Vorstellungen deutlich zu machen und für ihren Kurs zu werben. Richtig ist aber auch, dass Merkels Entscheidungen nicht selten gesellschaftliche Veränderungen bloß nachvollzogen und nicht etwa eingeleitet haben. Was die Frage aufwirft, wie die CDU heute wohl dastände, wenn sie noch die Partei des Jahres 2000 wäre.
Angela Merkel hat es stets gereicht, wenn Partei und Fraktion ihr folgen, wenn sich Mehrheiten organisieren und verteidigen ließen. Begeisterung wollte sie nicht auslösen, wahrscheinlich ist ihr dieses Gefühl, zumindest in politischen Kategorien gedacht, sogar im höchsten Maß suspekt. Das hat fast zwangsläufig einen Mangel an innerparteilichen Debatten und widerstreitenden Konzepten nach sich gezogen, der mit dem Schlagwort »Alternativlosigkeit« genauso treffend wie ernüchternd umschrieben ist. Keine Frage: Unter der Vorsitzenden Angela Merkel hat die CDU der abwertenden Bezeichnung als »Kanzlerwahlverein« in ganz besonderem Maße entsprochen.
Allein deshalb hat der Wettbewerb zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz in der CDU solch eine Euphorie auslösen können. In den vergangenen Wochen hat sich die Partei auf eine Art und Weise gespürt, wie es in den zurückliegenden 18 Jahren nicht der Fall war. Es ist, als habe jemand ein neues Feuer entfacht. Und es spricht Bände, wenn Fraktionschef Ralph Brinkhaus sagt: »Dieses Feuer müssen wir bewahren.«
Ausgerechnet jener Ralph Brinkhaus, der den Merkel-Vertrauten und langjährigen Amtsinhaber Volker Kauder in einer Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz geschlagen hatte. Der Ralph Brinkhaus, den Angela Merkel nicht als Fraktionschef wollte. Und der Gütersloher geht noch weiter: Bei den Regionalkonferenzen habe sich gezeigt, »dass sich die Mitglieder durch diese Art von Veranstaltungen mehr wertgeschätzt fühlen. Sie wollen einfach mehr einbezogen werden.«
Natürlich muss man das als Kritik an der Parteivorsitzenden lesen, an wem denn sonst. Aber: Das, was nun an Angela Merkel kritisiert wird, hat ja erstaunlich lange erstaunlich gut funktioniert. Und der CDU hat das auch sehr lange ausgesprochen gut gefallen. Vor allem aber: Die Partei hat es sich in all den Jahren gefallen lassen.
Erinnert man sich heute an den Abend der Bundestagswahl vom 22. September 2013 zurück, als die CDU/CSU um Haaresbreite die absolute Mehrheit der Mandate verpasste, fühlt man sich in ein Land aus ferner Zeit versetzt. Ein Land ohne Hass und Hetze. Ein Land aber, das mit dem Herbst 2015 untergegangen ist. Doch so trefflich man über Angela Merkels Flüchtlingspolitik, ihr »Wir schaffen das!« und die daraus resultierende Zerreißprobe für ihre Partei und die ganze Republik streiten kann und muss, so sehr muss man der CDU vorwerfen, sich nur auf Angela Merkel verlassen zu haben.
So stieg der Unmut in der Partei erst, als Angela Merkel nicht mehr Garantin des Erfolgs war. Und die AfD größer und größer wurde. Aus der strahlenden Kanzlerin, die allein die CDU für viele erst wählbar gemacht hatte, wurde plötzlich die Frau, wegen der allein die CDU vielen unwählbar erschien. Die Nibelungentreue der Partei ist so einer offenen, zum Teil sehr ungerechten Anklage gewichen. Es wird aber nicht lange dauern, bis die CDU merkt, dass nicht alles nur deshalb schon besser wird, weil ihre Vorsitzende nicht mehr Angela Merkel heißt. Und dass das Weltgeschehen herzlich wenig Rücksicht darauf nimmt, wer gerade die CDU anführt. Natürlich war Merkel stets mehr Kanzlerin als Parteivorsitzende. Doch das ist auch richtig so, denn: Erst kommt das Land und dann die Partei - auch wenn das nicht nur die CDU-Anhänger anders sehen mögen. Die übertriebene Fokussierung auf innenpolitische Belange und das mangelnde Interesse an geopolitischen Fragen ist ja leider in Deutschland sehr ausgeprägt.
Die CDU muss sich nun neu erfinden - wie einst im Jahr 2000, als Angela Merkel ihre Partei vom Erbe des ewigen Vorsitzenden Helmut Kohl befreite. Die Partei steht vor einer extrem wichtigen Phase der Selbstvergewisserung. Und dass das Rennen um den Vorsitz neben einem strahlenden Sieger auch zwei enttäuschte Verlierer hervorbringen wird, macht die Sache nicht leichter. Angela Merkel hat enorm viel für die CDU erreicht, jetzt aber muss sich die Partei endgültig von ihr emanzipieren.
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