Westfalen-Blatt: zur Berlinale
Bielefeld (ots)
Der Supersommer 2018 hat nicht nur der Landwirtschaft die Bilanz verhagelt, sondern auch den deutschen Kinos. 20 Millionen Zuschauer blieben den Filmpalästen fern. Das war ein Minus von mehr als 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr und sogar 30 Prozent bezogen auf das Jahr 2015. Der dramatische Ausfall an den Kinokassen ist jenseits des roten Teppichs das eigentliche Thema bei der 69. Berlinale, die am Donnerstag in Berlin beginnt. Haben Netflix, Amazon Prime und Co. mit gut 120 eigenen Produktionen die deutsche Kinokultur zerstört? Hat das Streaming für schlaffe Couch-Potatoes dem guten alten Rudel-Gucken den Garaus gemacht? Sind jetzt Subventionen für die 1700 deutschen Kinos genauso fällig, wie sie den Landwirten wegen der Ernteausfälle billig sind? Ganz so einfach ist die Sache nicht. In Frankreich gingen mehr Menschen denn je ins Cinema. Hierzulande war 2018 das Jahr der Fußball-WM, der langen Biergartensaison und ein Kinojahr mit mäßig guten Filmen. Aus Hollywood kamen Neuauflagen alter Schinken. Deutsche Produktionen fanden oft mehr Zustimmung unter Kritikern als beim Publikum. Außerdem: Bund und Länder schütten jedes Jahr 400 Millionen Euro für die Filmförderung aus. Zugleich ist sichergestellt, dass diese Filme zuerst in die Kinos kommen. Erst Monate später folgt die Verwertungskette aus Streaming, DVD, Video-on-Demand und Pay-TV. Am Ende stehen ARD und ZDF. Die Digitalisierung weicht dieses System auf. Wer wie die mächtigen Internetfirmen genug eigenes Geld hat, kann die Kinos links liegen lassen. Meist geht es um Serien nach dem Massengeschmack, die keine echte Konkurrenz für große Kinofilme sind. Dennoch ändert sich das Sehverhalten. Jederzeit und an fast jedem Ort gelangt der Film zum Betrachter. Festivals wie die Berlinale »müssen zu allererst Verhandlungsort über die Qualität von Kinofilmen bleiben«, sagt Kulturstaatsministern Monika Grütters. Gut gesprochen. Allerdings stellen sich in Berlin auch zwei Streaming-Produktionen den Juroren. In Cannes mussten sie noch draußen bleiben. Der deutsche Film hat gerade jetzt seinen Qualitätsanspruch unter Beweis zu stellen. Der seit Jahren stabile Marktanteil von 23 bis 24 Prozent macht eine Quote für heimische Produktionen, wie oft gefordert, nicht erforderlich. Die Filmförderung von Bund und Ländern garantiert eine große Bandbreite von Filmschaffenden, Produktionsfirmen, Autoren und Verleihern. In der vielfältigen Szene gibt es längst freie Filmemacher, die die Veränderungen für sich zu nutzen wissen. Manche schätzen es, ohne langwierige Förderanträge und allerlei inhaltliche Auflagen exklusiv für Sky zu drehen. Sie sprechen von einer anderen, aber auch ganz neuen Art künstlerischer Freiheit.
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