Westfalen-Blatt: Kommentar zum Missbrauchsfall Lügde
Bielefeld (ots)
Stürmische Tage liegen hinter der lippischen Polizei. Erst musste der Kripochef gehen, dann der Polizeidirektor. Nun soll es, so will es der Innenminister, einen Neuanfang geben - mit neuen Köpfen. Die reichen allerdings nicht, wenn nicht auch das Denken ein anderes wird. Zu viel ist schiefgelaufen, für das die jetzt abgesägten Beamten zwar die Gesamtverantwortung tragen. Die Fehler wurden aber auf der Ebene der Sachbearbeiter und ihrer unmittelbaren Vorgesetzten gemacht. Hier ist Selbstkritik vonnöten, und die hat - so hört man - bei dem einen oder anderen auch schon eingesetzt. Unlust und Inkompetenz vereinzelter Polizisten allein können das Desaster aber nicht erklären. Man darf wohl unterstellen, dass die Kripo nach der Anzeige einer Mutter Ende vergangenen Jahres mit aller Kraft darangegangen ist, diesen Fall, der von Tag zu Tag größer wurde, nach bestem Wissen aufzuklären. Aber vielleicht war das Verfahren einfach zu groß für diese kleine Behörde? Hätten die unterbesetzten Lipper nicht viel eher um Hilfe bitten müssen? Oder wurde vielleicht befürchtet, ein Hilferuf könne im Innenministerium als Schwäche ausgelegt werden? Fast im Tagesrhythmus kamen zuletzt immer mehr Pannen ans Tageslicht, und in Düsseldorf schäumte Innenminister Herbert Reul (CDU) von Mal zu Mal mehr. Sein drakonisches Eingreifen mit dem Entsenden eines Sonderermittlers und dem Fallenlassen zweier Führungskräfte hat jedenfalls einen Ruck durch die Polizei gehen lassen. Die Ermittlungen im Fall Lügde sind endlich in der richtigen Spur, und jeder beteiligte Beamte überlegt sich zweimal, was er tut oder unterlässt. Dieser Druck ist vielleicht nicht angenehm, aber er ist heilsam - zumindest für jene, die sich bisher nicht so einen Kopf um ihre tägliche Arbeit gemacht haben. Dabei setzt der Minister nicht nur auf Druck: Er hat auch die Arbeitsbedingungen der Missbrauchsermittler deutlich verbessert - personell und technisch. Dass dieses geschah, um sich vor Angriffen der Opposition zu schützen, kann man unterstellen, muss man aber nicht. Reul vermittelt durchaus glaubhaft den Eindruck, dass er erschüttert ist, dass es ihm ernst ist, dass er die Pannen auch mit den Augen der Opfer und ihrer Eltern sieht und auch daraus seine Verantwortung ableitet. Auf Reuls Anordnung hin wird nun zwar weiterhin geschaut, ob es in den vergangenen Jahren noch weitere Versäumnisse in Lippe gegeben hat. Viel wichtiger ist aber, dass die Ermittlungen in den Missbrauchsfällen jetzt zügig und gerichtsfest weitergehen. Nicht mögliche Polizeipannen der Vergangenheit sollten nun den Polizeialltag bestimmen, sondern der Blick nach vorne. Der Kreis Lippe wird jedenfalls weiterhin einer der sichersten in NRW sein. Trotz allem.
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