Westfalen-Blatt: Kommentar zur Luftverschmutzung
Bielefeld (ots)
Die folgende, aus Statistiken gewonnene Erkenntnis ist erschreckend: Städter erkranken häufiger an Krebs als die Menschen vom Lande. Außerdem fährt, wer in der Stadt lebt, viel öfter mit dem Fahrrad als der Dörfler. Folglich ist Radfahren krebserregend. Das Beispiel illustriert den Kardinalfehler im öffentlichen Umgang mit Statistiken: Formale Ähnlichkeiten (mehr Krebstote - mehr Radfahrer) sind etwas grundlegend anderes als kausale Zusammenhänge (wer ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springt, stirbt). Trotzdem greift der Bürger, greift die Politik, jede Äußerung zu gesellschaftlich relevanten Themen begierig auf, so sie denn aus wissenschaftlichen Zirkeln stammt. 107 Lungen(fach)ärzte lassen grüßen. Ideologie mit Wissenschaft zu unterfüttern ist verführerisch: So bekommt die eigene Position in der Debatte mehr Gewicht und der Diskussionsgegner schweigt resigniert. Gut fürs Renommee (Außenwahrnehmung) und fürs Selbstbewusstsein (Eigendarstellung), wenn man Recht bekommt. Nun sind Recht bekommen und recht haben zwei Paar Schuhe. Tatsächlich werden Aussagen aus Wissenschaftlermund zuverlässig instrumentalisiert. Jeder zieht sich raus, was ihn bestärkt. Und findet sich nichts Verwertbares, dann wird die Wissenschaft eben in Bausch und Bogen verdammt. Dagegen ist auch die Mainzer Studie nicht gefeit. Mit Feinstaub belastete Luft verursache weltweit 8,8 Millionen Sterbefälle pro Jahr, meldet die Deutsche Presseagentur (dpa) - die Forscher sprechen von einem Unsicherheitsfaktor von 50 Prozent. Eine gewaltige Spanne: Wie sicher ist dann der kausale Zusammenhang? Mehr vorzeitige Todesfälle durch Luftschadstoffe als durch Rauchen diagnostiziert die dpa - laut Studie hingegen sterben 15 bis 28 Prozent (wieder so eine Riesenspanne!) der einer Herzkrankheit erlegenen EU-Bürger wegen verschmutzter Luft. Doch nur wenn der höhere Wert stimme, wollen die Autoren der Studie der journalistischen Diagnose zustimmen. Munitioniert mit einer Studie lässt sich's trefflich debattieren. Ob mit ihrer Lektüre (allzu oft ist's dann doch nur Info aus zweiter Hand) Sachkenntnis erworben wurde, ist ungewiss. Von der Politik übrigens wird die Wissenschaft seit Jahrzehnten gedrängt, Forschung nach Maßgabe ihrer Verwertbarkeit im Parteienstreit zu betreiben. Zweckfreie Forschung war einmal. Welcher Politiker hätte je die Erfindung des Computers gefordert. Jetzt, wo er da ist, soll die Wissenschaft beweisen, dass er das Allheilmittel in der schulischen Bildungsarbeit ist. Manch ein Wissenschaftler erfüllt diese Erwartungen gerne: Es regnet Forschungsgelder! Die Mainzer Studie mündet denn auch in den Mainstream-Appell für saubere Luft: erneuerbare Energien statt fossile Brennstoffe. Banaler geht's nimmer.
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