Westfalen-Blatt: Kommentar zur Situation im Sudan
Bielefeld (ots)
Sie haben einen Diktator gestürzt - und ein Militärregime bekommen. Die seit Dezember protestierenden Sudanesen können nicht zufrieden sein mit den Spiegelfechtereien an der Staatsspitze. Die nächsten Monate müssen erweisen, was das Versprechen wert ist. Die neuen Machthaber beteuern, sich spätestens in zwei Jahren zurückzuziehen und das Volk herrschen zu lassen. Immerhin, der Druck von der Straße hat Umar al-Bashir, den weltweit wegen Völkermords zur Fahndung ausgeschriebenen Dauerdiktator, um sein Amt gebracht. Ob er freiwillig gegangen ist oder aus dem Amt gefegt wurde, ist nicht zu überprüfen. Der Übergangsrat will den 75-Jährige wegen seiner Verbrechen vor Gericht sehen - aber nicht in Den Haag, sondern im Sudan. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wüssten die Opposition und der Rest der Welt, woran sie sind. Allein, es fehlt der Glaube. Der neue Präsident war 2003 erster Mordgeselle des alten Präsidenten, als Militärmaschinen Bomben über bitterarme Dörfer in der Unruheprovinz Dafur regnen ließen. Bashirs Nachfolger Awad Ibn Auf koordinierte auch die gefürchteten Reiterbrigaden Dschandschawid. Ähnlich gingen Mordbrenner und Massenvergewaltiger in den Nubabergen und an der ölreichen Grenze zum 2011 entstandenen Südsudan im Auftrag der Regierung vor. Die Opposition - darunter überwiegend junge Frauen - will mit ihren friedlichen Sit-Ins mehr. Die Verdreifachung des Brotpreises und eine schlimme Wirtschaftskrise haben sie auf die Straße getrieben. Man will Korruption und Selbstbedienung der Führungsclique nicht länger hinnehmen und politisch mitreden. Forderungen nach Demokratie oder gar Religionsfreiheit traut sich bislang kaum einer zu diskutieren. Für Europa haben sich mit der neuen Ungewissheit in kurzer Zeit drei, manche meinen vier Megarisiken aufgetan: Der Sudan hat weit offene Grenzen mit Ägypten, Libyen und Tschad. Deshalb ist Khartum seit je her Ausgangspunkt für die zentrale Fluchtroute übers Mittelmeer. In Libyen zieht ein neuer Krieg mit einer möglichen Schlacht um Tripolis auf. In Algerien wurde Abdelaziz Bouteflika nach 20 Jahren zum Rückzug gezwungen, aber die Menschen trauen den Militärs nicht. Schließlich soll es in Tunesien stärker gären, als von der großen Politik registriert. Im Extremfall rutscht fast die gesamte afrikanische Mittelmeerküste ins Chaos ab. Die lebensgefährlichen Überfahrten von überfüllten Flüchtlingsbooten könnten stark zunehmen und Europa dürfte sich nicht länger hinten den schmutzigen Methoden der mit EU-Geldern hochgerüsteten libyschen Küstenwache sicher fühlen.
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