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Westfalen-Blatt: Kommentar zum Lügde-Prozess

Bielefeld (ots)

Warum sind Beamte der Kreispolizei Lippe 2016 konkreten Hinweisen auf Andreas V. nicht nachgegangen? Warum hat das Jugendamt Hameln-Pyrmont ein Pflegekind auf der vermüllten, dreckigen Parzelle des alleinstehenden Dauercampers untergebracht, obwohl ein Pädophilieverdacht gegen den Mann in den Akten stand? Wer Antworten auf diese Fragen vom Lügde-Prozess erhofft, wird enttäuscht. Denn vor dem Landgericht Detmold geht es von heute an ausschließlich um die Schuld oder Unschuld dreier Männer. Zwei sollen hundertfach Kinder missbraucht, der dritte aus der Ferne per Webcam zugeschaut und dirigiert haben. Das vielfältige Behördenversagen wird in dem Prozess allenfalls gestreift, aber die Pannen sind ja auch nicht der Kern des Falls. Es geht um Kindesmissbrauch, wobei dieser Begriff strafrechtlich ein weites Feld beschreibt. Kindern Pornofotos zu zeigen - schon das wertet der Paragraph 176 als Kindesmissbrauch. Im Fall Lügde sind wir aber am anderen Ende der Skala, da geht es um schweren Missbrauch. Konkret um den Verdacht der hundertfachen Vergewaltigung von Kindern in allen nur denkbaren Formen. Trotz Flehens, trotz vereinzelter Gegenwehr, trotz vereinzelter Schmerzens-schreie. Ein Opfer soll erst vier oder fünf gewesen sein. So steht es in der Anklage. »Man möchte den Dreck nicht lesen«, sagte ein Nebenklageanwalt, nachdem er vor Wochen in die Akten hatte sehen dürfen. In der Tat sind es unbeschreibliche Perversitäten, mit denen sich das Gericht in den kommenden Wochen befassen muss. Da ist es gut, dass die Kammer unter Vorsitz von Anke Grudda für ihren einfühlsamen Umgang mit Opferzeugen bekannt ist. Vor allem im Interesse der Kinder ist zu hoffen, dass die Angeklagten den Prozess verkürzen, indem sie möglichst bald Geständnisse ablegen. Zum Glück sind die Verteidiger bodenständige Rechtsanwälte, die nicht dafür stehen, Verfahren mit vorgeschobenen Anträgen in die Länge zu ziehen oder mutmaßliche Opfer zu attackieren. Nein, mit einer Konfliktverteidigung muss in diesem Prozess wohl nicht gerechnet werden. Der monströse Missbrauchsfall hat aber - wenn man das denn sagen darf - auch etwas Gutes: Nie zuvor wurde so intensiv über Kinderpornographie und Kindesmissbrauch geredet. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Verfolgung solcher Taten inzwischen zu einer wesentlichen Aufgabe der nordrhein-westfälischen Polizei erklärt und lässt sich nun jeden Monat Bericht erstatten. Das reicht aber nicht: Bis heute gelten Kindesmissbrauch und Kinderpornobesitz nicht als Verbrechen, weil die Mindeststrafe unter einem Jahr liegt. Hier muss der Gesetzgeber möglichst bald ganz andere Mindeststrafen festlegen.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Dominik Rose
Telefon: 0521 585-261
d.rose@westfalen-blatt.de

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