Westfalen-Blatt: Kommentar zu Angela Merkel
Bielefeld (ots)
Wenn man sieht, wie die Bundeskanzlerin beim G20-Treffen in Japan den US-Präsidenten allein mit ihrer Mimik auf Distanz hält, dann braucht man sich eigentlich keine Sorgen um Angela Merkel machen. Eigentlich. Seit den beiden Zitteranfällen bei öffentlichen Anlässen ist der Gesundheitszustand der Regierungschefin zum Thema geworden. Ob Erschöpfung oder Krankheit: Die Bilder der zitternden Kanzlerin sollten einen in erster Linie mit Sorge erfüllen - Sorge um die Gesundheit einer Frau, die seit 14 Jahren ein Pensum wie kaum ein anderer Mensch in Deutschland erfüllt. Und hier ist das Mitgefühl unabhängig davon, ob man jede politische Entscheidung Merkels für richtig hält. Fragen nach ihrer körperlichen Verfassung lässt sie sich gar nicht erst stellen. Ihre Antwort: einmal Japan und zurück, 22 Stunden Flug, etwas mehr als einen Tag in Tokio, sieben Stunden Zeitverschiebung, dann direkt zum EU-Gipfel nach Brüssel. Alles wie immer, anstrengend wie immer. Die Kanzlerin schont sich nicht, weil sie sich im Moment nicht schonen kann. In diesen Tagen steht zu viel auf dem Spiel. Dabei ist der G20-Gipfel nicht ihr wichtigster Termin. In Brüssel geht es am Sonntag um die Vergabe der Spitzenposten bei der Europäischen Union (EU). In der Verlosung sind Kommissionspräsident, Außenbeauftragte, Präsident der Europäischen Zentralbank, Ratspräsident und Parlamentspräsident. Nun gerät Angela Merkel ohnehin nicht in den Verdacht, in Personalangelegenheiten besonders gewieft vorzugehen. Den Spitzenkandidaten der Union für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, Manfred Weber von der CSU, hat sie schon fast aufgegeben. Sollte die Kanzlerin nicht mindestens den Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann zum EZB-Chef machen, sondern für den größten EU-Staat bloß den Posten der EU-Außenbeauftragten für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) herausholen, dann hieße es: Merkel hat schlecht verhandelt und sich nicht durchgesetzt, weil ihr Gesundheitszustand es nicht zuließ; zumal EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits angekündigt hat, dass die Sitzung der Staats- und Regierungschefs wohl bis Montagmorgen dauern werde. Schlaflose Nächte gehören dazu, wenn es um viel geht. Politik ist ein hartes Geschäft. Und ein zynisches. Schwächen werden ausgenutzt, Rücksichtnahme hält sich in Grenzen. Gesundheit ist Macht. Verfällt die Gesundheit, verfällt die Macht. Die Kanzlerin weiß das. Es dürfte sie zusätzlich unter Druck setzen. Und Druck tut ihr jetzt gewiss nicht gut. Nur Angela Merkel selbst und ihre Ärzte können beurteilen, wie es ihr geht. Jede Ferndiagnose medizinischer Laien ist unseriös. Und jede hämische Bemerkung unanständig.
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