Westfalen-Blatt: ein Leitartikel zu Gerry Weber
Bielefeld (ots)
Der 16. Juli 2019 markiert einen Einschnitt in der fast 46-jährigen Geschichte der Haller Gerry Weber AG. Er kommt zwar nicht mehr unerwartet. Sogar der vollständige Ausstieg der Gründerfamilien Weber und Hardieck hat sich zuletzt immer stärker abgezeichnet. Trotzdem ist die angekündigte Übernahme durch Investmentfonds eine Zäsur. Gerhard Weber hat vor einiger Zeit eigene Fehler und damit letztlich ein Mitverschulden an der Insolvenz eingeräumt. Das ist ihm, der früher auch seinen Beitrag zum phänomenalen Aufstieg des Haller Modekonzerns stets hervorgehoben hat, gewiss nicht leicht gefallen. Doch die großen Veränderungen, denen nicht nur die Gerry Weber AG, sondern die gesamte Branche unterworfen ist, fordern neue Antworten. Das haben Gerhard und Ralf Weber zu spät erkannt und zu lange an der Wachstumsstrategie festgehalten. Freilich verabschieden sich mit der geplanten Übernahme durch zwei Investmentfonds und andere bisherige Kreditgeber nicht nur die Gründerfamilien aus dem Konzern. Zu den früheren Hauptversammlungen kamen immer auch Heerscharen von Kleinaktionären. Viele haben von damals guten Dividenden profitiert. Aber nicht alle waren lange genug engagiert, damit dies den jetzigen Verlust ausgleicht. Mit Blick auf die private Altersvorsorge bestätigt die Entwicklung wieder einmal die Mahnung, sich nicht zu sehr an eine Aktie zu binden. Die Börse ist, auch wenn sie manchmal über längere Zeit diesen Eindruck erweckt, keine Einbahnstraße, in der es nur aufwärts geht. Für die Belegschaft begann der Marsch durchs Tal der Tränen schon viel früher. Auf Restrukturierungen mit Personalabbau und Filialschließungen folgte statt des Wiederaufstiegs zu alter Größe die Insolvenz. Umso höher ist den Mitarbeitern anzurechnen, dass sie nicht die Flügel hängen ließen, sondern auch das neue Sanierungsprogramm mittrugen. Dass das überhaupt gelingen konnte, ist das Verdienst des neuen Vorstandstrios um Johannes Ehling, Florian Frank und Urun Gursu. Offenbar genießen sie in starkem Maße das Vertrauen der Belegschaft. Dass sie zudem erklärtermaßen auch das Vertrauen der neuen Investoren genießen, ist ein Fundament, auf dem die Gerry Weber AG nach dem voraussichtlichen Abschluss der Insolvenz im November aufbauen kann. Für den Konzern spricht weiter, dass die Investoren schon Erfahrung gesammelt haben, auch in der Branche. Dass es dort nicht nur aufwärts ging, unterstreicht, wie groß die Probleme in der Modeindustrie sind. Das Unternehmen und seine Marken Gerry Weber, Taifun und Samoon sind auch ohne die Tochterfirma Hallhuber und nach dem geplanten Verkauf des Logistikzentrums im Haller Ravenna Park stark genug für den Neuanfang.
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