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Westfalen-Blatt: Kommentar zum ersten Lügde-Urteil

Bielefeld (ots)

Es wäre ein Leichtes, sich an dieser Stelle der großen öffentlichen Empörung über das erste Urteil im Fall Lügde anzuschließen. Das Gericht zu kritisieren und die Bewährungsstrafe als skandalös und viel zu lasch zu bezeichnen. Aber das würde der Sache nicht gerecht. Es ist eben nicht so, dass sich Urteile an dem ausrichten sollen, was »man« für richtig hält. Sondern an dem, was im Strafgesetzbuch steht. Dass der Mann, der per Webcam beim Kindesmissbrauch zusah, der sich vor der Kamera befriedigte, der mehr als 40.000 Kinderpornos besaß - dass dieser Mann für eine Handvoll Taten auf Bewährung verurteilt wurde und freikam, zeigt vor allem eines: wie unabhängig und souverän diese Richter sind. Sie haben sich eben nicht von der Stimmung im Volk beeindrucken lassen, wie es schon mal an anderen Gerichten zu beobachten ist. Sondern sie haben den Fall so neutral und abgeklärt bewertet, als sei es ein x-beliebiger Fall gewesen. Und juristisch gesehen war er das ja auch. Hätte es die hundertfachen Vergewaltigungen von Kindern durch die beiden anderen Angeklagten nicht gegeben - keine Zeitung, kein Sender hätte je über den Mann aus Stade berichtet. Denn Fälle wie seinen gibt es zu Hauf. Und natürlich muss das Gericht auch alles, was einen Angeklagten entlastet, in die Waagschale werfen. Hier: das Geständnis, die geringe Zahl der Taten, den Umstand, dass er selbst kein Kind angefasst hat und einiges mehr. Um es klarzustellen: Auch ich halte die Strafe für viel zu gering. Wer über Jahre 40.000 Fotos schwerster Verbrechen an Kindern sammelt, die gemeinhin und fälschlicherweise als Kinderpornos bezeichnet werden, wer andere animiert, vor einer Kamera ein Kind zu vergewaltigen und dabei zusieht - der gehört für längere Zeit eingesperrt. Dass das am Mittwoch nicht geschah, ist aber nicht den Detmolder Richtern anzulasten, sondern unseren Bundestagsabgeordneten. Sie machen die die Gesetze, und sie legen die Strafrahmen fest. Kinderpornobesitz - er scheint noch immer als Kavaliersdelikt zu gelten, denn das Gesetz sieht nicht einmal eine Mindesthaftstrafe vor. Eine Geldstrafe tut's, und so zeigen Fälle aus den vergangenen Monaten und Jahren: Selbst Menschen in herausragenden Positionen wie Politiker, Ärzte, Polizisten, ein Richter und ein Staatsanwalt kamen in Ostwestfalen immer wieder vergleichsweise glimpflich davon - auch weil die Gesetze so sind wie sie sind. Insofern ist es angebracht, viel schärfere Gesetze zu fordern. Die verhindern zwar keine Tat, aber sie eröffnen den Gerichten ganz andere Spielräume. Ob es jemals dazu kommen wird? Missbrauchsopfer scheinen noch immer keine ausreichende Lobby im Bundestag zu haben. Sie demonstrieren eben nicht, sie sind auch nicht auf YouTube. Sie haben genug mit sich selbst zu tun.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Dominik Rose
Telefon: 0521 585-261
d.rose@westfalen-blatt.de

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