Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Landtagswahlen
Bielefeld (ots)
Nein, dem Wahlsonntag in Sachsen und Brandenburg fehlt es gewiss nicht an Spannung. Das Wort Krimi verharmlost allerdings das, was bei den Landtagswahlen bevorsteht. Es wird dramatisch werden. Wie ein Beben, bei dem die Statik ins Wanken gerät. Da weiß man nicht sofort, wieviel zerstört wird, wie es weitergeht und welche Folgen mittel- und langfristig drohen könnten. Wahlen sind ein Freudenfest und sollten nicht mit schlimmen Naturereignissen verglichen werden. In diesem Fall passt das harte Sprachbild leider. Sachsen und Brandenburg steht eine Ausnahmewahl bevor - eben ein politisches Beben. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung haben die Migration sowie der beschlossene Kohleausstieg und der damit verbundene Strukturwandel mit Arbeitsplatzverlusten den Osten verändert. Die Messerattacke zweier Ausländer vor einem Jahr in Chemnitz, bei dem ein 35 Jahre alter Deutscher starb, hat die Stimmung zusätzlich vergiftet - nicht zuletzt durch die Hetze der AfD. Am Sonntag werden sich die politischen Kräfteverhältnisse drastisch verändern. Bezogen auf die Landtagswahlen vor fünf Jahren könnten laut aktuellen Prognosen die einst großen Volksparteien in beiden Ländern jeweils ein Drittel ihrer Wähler verlieren. In Sachsen droht der CDU um ihren amtierenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ein Absturz von 39,4 Prozent auf 32 Prozent. Das sind 200.000 Wähler weniger. Zwar könnten die Christdemokraten trotzdem noch stärkste Partei werden. Aber die Bildung einer AfD-Verhinderungskoalition aus CDU, SPD und Grünen wird ein Kraftakt. Michael Kretschmer muss zudem noch um sein Direktmandat in seiner Heimatstadt Görlitz bangen. Trotz Zugewinnen von etwa 16 Prozentpunkten bleibt die AfD ohne Machtoption, weil keiner mit den Rechtsaußen koalieren will. Die SPD wird es in den Landtag schaffen, aber etwa acht Prozent sind ein Armutszeugnis. Da erscheint es vergleichsweise schon »normal«, dass die Grünen ihr Ergebnis von 2014 auf elf Prozent verdoppeln werden. In Brandenburg könnte es für die SPD noch schlimmer kommen. Nicht nur, dass der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke um sein Amt fürchten muss. Wie der CDU in Sachsen drohen der SPD in Brandenburg gewaltige Verluste von zehn Prozentpunkten. Mit Hilfe der Grünen (plus acht Punkte) könnte Rot-Grün-Rot zur Verhinderung der AfD (plus neun Punkte) gelingen. Was das alles für die Bundespolitik bedeutet? Die Große Koalition wird weiter wackeln, aber vorerst nicht zerbrechen - nicht vor der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober und vermutlich auch nicht vor der Wahl zum neuen SPD-Parteivorsitz Anfang Dezember. Zunächst geht der Blick aber nach Sachsen und Brandenburg. Es wird eine besondere Wahl. Wie stark das Beben wird, wissen wir am Sonntag.
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