Westfalen-Blatt: Kommentar zur Klimapolitik
Bielefeld (ots)
Während die Große Koalition noch um ihr Klimapaket ringt, feiern die Attacken auf die deutsche Automobilindustrie fröhliche Urständ. Man mag kaum glauben, mit welcher Selbstverständlichkeit und Kaltschnäuzigkeit eine, wenn nicht sogar die Schlüsselindustrie unserer Wirtschaft aktuell an den Pranger gestellt wird. Der Wohlstand frisst seine Kinder - und die ausländische Konkurrenz dürfte sich freuen. An Entschlossenheit fehlt es den Demonstranten nicht, an Klugheit bisweilen schon. So wurde am Rande der IAA in Frankfurt unter anderem skandiert: »Es gibt kein Recht, einen SUV zu fahren.« Was die Frage aufruft, wer denn zu bestimmen hat, wer welches Auto fahren darf und wer nicht. Man muss kein Lobbyist sein, um zu erkennen, dass da gerade ziemlich viel Unsinn geredet wird. Zu Recht warnt Stephan Weil, niedersächsischer SPD-Ministerpräsident - ja, auch Mitglied im VW-Aufsichtsrat - heute in einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« das Klimakabinett davor, »den Umbau hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft mit kaltem Herzen« zu betreiben. Die Frage ist, ob's gehört wird. Es ist schon richtig: Wenn irgendwo zu lange rumgetrödelt wird, bricht irgendwann später mit Sicherheit Panik aus. Doch die Panik, die Greta Thunberg und Co. nach eigener Aussage verbreiten wollen, ist alles andere als hilfreich für den Weg, der vor uns liegt. Ja, Angela Merkel hat lange ignoriert, dass sie einst als »Klimakanzlerin« bezeichnet wurde. Mit anderen Worten: Es ist gewaltig Zeit vergeudet worden in den 14 Jahren ihrer Kanzlerschaft, und das bringt Deutschland nun ebenso gewaltig in Zugzwang. Dennoch ist es notwendig, auch in puncto Klimaschutz die Akzeptanz aller beteiligten Akteure im Blick zu behalten. Und dazu gehört nun mal die Autoindustrie ebenso wie all die Menschen, die nicht in den hippen Zentren mit bestausgebautem ÖPNV leben. Noch einmal Stephan Weil: »Unter welchen Bedingungen können Pendler auf dem Land mit kleinem Einkommen, altem Auto und Öl-Heizung bei einer CO2-Bepreisung mitgehen?« Ganz zu schweigen davon, dass Deutschland nicht allein auf der Welt ist. Natürlich darf das kein Grund fürs Nichtstun sein. Entschlossenheit tut Not, aber Aktionismus bringt auch niemanden weiter. Gefragt sind ein klarer Plan, langer Atem, auch Geduld. Und ohne eine weiterhin hohe Wettbewerbsfähigkeit wird sich dieses Land die Milliardenausgaben für mehr Klimaschutz auf Dauer gar nicht leisten können. Es sei denn, die Deutschen wären bereit, über sehr lange Zeit sehr große Wohlstandsverluste in Kauf zu nehmen. Der Beweis dafür aber wäre erst zu erbringen - und Zweifel sind erlaubt. Denn mit der Bevormundung von ein paar SUV-Fahrern ist es da gewiss nicht getan.
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