Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Thüringen
Bielefeld (ots)
In vielerlei Hinsicht extrem. So ist die politische Situation in Thüringen drei Tage vor der Landtagswahl. Morddrohungen von Rechtsradikalen gegen Spitzenpolitiker. Eine vom rechtsnationalen »Flügel« geprägte AfD, die ihr Ergebnis verdoppeln und zweitstärkste Partei werden könnte. Und eine Regierungsbildung, die - sollte es nicht für Rot-Rot-Grün reichen - kompliziert wird oder möglicherweise auch gar nicht gelingt. Da erscheint die Tatsache, dass im einstigen Stammland der CDU ausgerechnet die Linke bei einer Landtagswahl erstmals in ihrer Geschichte stärkste Partei werden könnte, noch vergleichsweise »normal«. In Thüringen ist politisch längst nicht mehr alles normal. Erfurt ist nur eine Autostunde von Halle an der Saale entfernt. Der antisemitische Anschlag vor zwei Wochen hätte überall anders, aber eben auch in Thüringen passieren können. Und obwohl die AfD als Gesamtpartei das Klima in Deutschland vergiftet hat und damit für diese Tat und für den Mord an Walter Lübcke mitverantwortlich ist, bleiben die Umfragewerte im Freistaat konstant bei 20 plus x Prozentpunkten. Man fragt sich: Warum nur? Wird die AfD wegen ihrer rechtspopulistischen Ideologie gewählt oder auch aus anderen Gründen? Folgen Menschen der Partei in Thüringen, obwohl jeder mittlerweile wissen sollte, dass sie eine Hochburg des völkischen »Flügels« ist, den der Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextreme Tendenzen einstuft? Wird die AfD somit wegen oder trotz ihres Anführers Höcke gewählt? Nach Meinung des Erfurter Politikwissenschaftlers Andre Brodocz lautet die Antwort: Die AfD wird trotz Höckes gewählt. Seine Zustimmung ist weitaus geringer als die anderer Landespolitiker. Laut Forschungsgruppe Wahlen wird Höcke auf einer Skala von plus bis minus fünf äußerst negativ mit minus 3,5 bewertet. Sogar bei den AfD-Anhängern erhält er lediglich einen Wert von 0,7. Auffällig ist nach Meinung des Politikwissenschaftlers, dass Höckes Unbeliebtheit die Menschen offenbar nicht davon abhält, die AfD zu wählen. Denn sie wollen, dass bestimmte Themen wie die Migration im Landtag debattiert werden. Dafür, meint der Experte, nehmen sie in Kauf, von Höcke vertreten zu werden. Ohne ihn würde die AfD allerdings auch nicht zwangsläufig mehr Stimmen bekommen, weil der Rechtsaußen eine bestimmte Wählerschaft bediene. Höcke ist somit nicht das einzige Übel, sondern auch die AfD selbst, die nach wie vor aus Protest gewählt wird. Bleibt es bei den Umfragewerten, könnten nur Linke und CDU gemeinsam eine Mehrheit ohne Einbeziehung der AfD bilden. Diese Koalition hat die CDU aber bislang abgelehnt. Sollte es am Sonntag nicht für Rot-Rot-Grün reichen, könnte es zu einer Minderheitsregierung kommen, vielleicht wie demnächst auch auf Bundesebene.
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