Westfalen-Blatt: Kommentar zur Gruppe "SPDpur2030"
Bielefeld (ots)
Sie wollten den Linksruck ihrer Partei verhindern und haben es nicht geschafft. Die Ergebnisse und die Atmosphäre des Bundesparteitags nimmt die Gruppe "SPDpur2030" zum Anlass, sich aufzulösen. Damit wird der Frust traditioneller Sozialdemokraten, die einst wegen Willy Brandt und Helmut Schmidt in die SPD eintraten, nicht verschwinden. Der Frust wird sich andere Ventile suchen, und der Frust dürfte zunehmen.
Allein, dass die neue SPD-Vorsitzende Saskia Esken für sich und Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans kurzerhand die Verhandlungsführerschaft im Koalitionsausschuss mit CDU und CSU beansprucht, kann die SPD-Bundestagsfraktion nur als Versuch der Entmachtung verstehen. Wenn sich eine wie zufällig an die Parteispitze gelangte Hinterbänklerin am Fraktionsvorstand vorbeidrängelt und in der ersten Reihe Regierungspolitik machen will, dann sorgt das gewiss für einigen Widerstand.
In der SPD tobt nichts weniger als ein Kulturkampf um die Deutungshoheit darüber, wie Sozialdemokratie heute definiert werden soll und was das für praktische Politik bedeutet. Erste Leidtragende dieses Konflikts sind die SPD-Minister in der Großen Koalition. Die Basis hat Olaf Scholz nicht nur als Vorsitzenden abgelehnt, sie hat mit ihren Beschlüssen für eine neue Schuldenpolitik auch die bisherige Linie des Bundesfinanzministers in Frage gestellt.
Olaf Scholz, Svenja Schulze, Hubertus Heil, Heiko Maas, Christine Lambrecht und Franziska Giffey leiten ihre Ressorts zwar nicht auf Bewährung, aber fortan agieren sie im brisanten Spannungsfeld zwischen Partei, Fraktion und Regierung - zwischen von den Jusos ideologisierten Mitgliedern, (direkt) gewählten Mandatsträgern und auch an ihrer Karriere interessierten Bundesministern.
Was bleibt, ist die Frage nach der Legitimation. 27 Prozent aller SPD-Mitglieder haben Esken und Walter-Borjans gewählt, 73 Prozent haben das nicht getan. Basierend auf diesem Ergebnis, eine Volkspartei - ja, das ist die SPD wegen ihrer relativen Stärke in den Ländern und Kommunen noch immer - auf einen strammen Links-Grün-Kurs zu zwingen, ist ein gewagtes Unterfangen.
Die Frauen und Männer von "SPDpur2030" sind keine Abtrünnigen und keine schlechten Verlierer, nur weil sie die Gruppe auflösen. Ihre Vorschläge für eine SPD, die wieder mehr als 20 oder 25 Prozent holen kann, bleiben. Doch diese Konzepte finden im Moment und wahrscheinlich sogar auf absehbare Zeit keine Mehrheiten in der Partei.
Den Linksruck will nicht jeder mitmachen. Es gibt SPD-Leute, die wissen, dass die Sozialdemokratie in Deutschland gebraucht wird, und zwar nicht als Kopie von Linke und Grünen, sondern als Mitte-Links-Partei mit Sinn für die nötige Balance in der Gesellschaft. Dieses Gefühl ist der SPD abhanden gekommen. Heute bestimmen Linke den Ton und setzen auf Identitätspolitik, die mit den Alltagsproblemen der meisten Leute nichts zu tun hat. Und das schadet der SPD.
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