Das WESTFALEN-BLATT zur EU nach dem Brexit
Bielefeld (ots)
S o, nun reicht's aber langsam auch mal mit dem Briten-Bashing. Deutschland und alle anderen verbleibenden 26 EU-Staaten täten gut daran, sich auf die Zeit nach dem Brexit zu konzentrieren statt weiter Premier Boris Johnson und seine sehr erfolgreiche Kampagne zu diffamieren. Denn so falsch die Entscheidung der Briten sein mag und so sehr man ihren Austritt aus der Europäischen Union bedauern muss, so sehr haben wir diesen souveränen Beschluss zu respektieren. Zugleich setzt das Ende des dreieinhalb Jahre währenden Hickhacks neue Kräfte frei - und die werden dringend benötigt. Denn die EU muss einen neuen Umgang mit Großbritannien finden. Und der sollte ganz nüchtern von den eigenen Interessen sowie dem Blick auf die alles andere als einfache Weltlage und nicht etwa von Rachegelüsten bestimmt sein. Absehbar ist, dass die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen samt der Ratifizierung in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten kaum bis Ende 2020 zu schaffen sein dürften. Wahrscheinlicher ist, dass sich beide Seiten darauf verständigen, die Übergangsfrist bis Ende 2022 zu verlängern, auch wenn Johnson das bisher stets abgelehnt hat. Denn so ruppig und egoman der Premier auch wirken mag, einen harten Brexit wird er kaum wollen, weil auch er weiß, dass das die schlechteste aller Lösungen ist. Für die EU geht es aber um noch mehr als "nur" um ein neues Verhältnis zu Großbritannien. Die Staatengemeinschaft, die bisher nur Beitrittsgesuche und eine wachsende Mitgliederzahl kannte, wird sich nach dem ersten Austritt eines Mitgliedslandes überhaupt neu finden müssen. Es ist wahrscheinlich Angela Merkels letzte große Mission: Wenn Deutschland im Juli 2020 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und die Kanzlerin etwas erreichen will, müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Das wird aus deutscher Sicht alles andere als leicht, ist doch mit Großbritannien ein wichtiger Verbündeter in puncto Wirtschaftspolitik verloren gegangen. So dürfte der ohnehin sehr selbstbewusste französische Staatspräsident Emmanuel Macron noch stärker versuchen, seine Vorstellungen von Europa durchzusetzen, was oft nichts anderes als "mehr Frankreich" bedeutet. Zugleich gibt es mehr als genug Aufgaben. Manfred Weber, der gescheiterte Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten und jetzige Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, hat den Lastenzettel der EU in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zusammengefasst: eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik samt Terrorabwehr und Bekenntnis zum Mehrheitsprinzip sowie eine vernünftige Budgetgestaltung. Für Deutschland heißt das nichts anderes als: Die EU wird teurer. Doch das Geld kann durchaus gut angelegt sein, denn wie hat es Weber so knapp wie treffend formuliert: "Europa muss endlich erwachsen werden."
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