Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Gerry Weber
Bielefeld (ots)
Vorstand und Belegschaft der Gerry Weber International AG freuen sich über die Rückkehr zur Normalität. Das ist verständlich: Während des laufenden Insolvenzverfahrens müssten beide Seiten 2019 viel Zeit und Energie darauf verwenden, den Lieferanten, den Kunden im Handel und den Kundinnen in den Geschäften zu erklären, dass und warum es das Unternehmen auch weiterhin geben wird. Rückkehr zur Normalität heißt freilich nicht: Rückkehr zu den glorreichen Zeiten unter Gerhard Weber, als die Haller die gesamte Branche Jahr für Jahr und oft deutlich ausgestochen haben. Der Gründer ließ sich dafür auf den Aktionärsversammlungen und in den Medien feiern. Als sich der Wind drehte, haben auch er und sein Sohn Ralf die Alarmzeichen übersehen. So normal wie früher werden die Zeiten in der Modebranche vermutlich nie wieder sein. Zu nachhaltig änderten sich die Kaufgewohnheiten. Ein Modediktat, in dem die Hersteller festlegten, wie sich die Frauen zu kleiden hatten, gibt es schon lange nicht mehr. Selbst einen Trend zu bestimmen, ist von Saison zu Saison kaum noch möglich. Dabei geht es nicht nur um die aktuelle Modefarbe, die Form der Hose oder die Höhe des Rocksaums. Das Kaufverhalten hat sich insgesamt auseinander entwickelt. Zugenommen hat die Zahl der Schnäppchenjägerinnen, deren Suche nach dem günstigsten Einkauf durch das Internet noch erleichtert wird. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die auf umweltgerechte Materialien und sozial adäquate Produktionsbedingungen Wert legen. Nicht zuletzt legen die Second-Hand-Anbieter zu. War es für die jüngeren Kinder früher ein Gräuel, die Kleidung der Älteren auftragen zu müssen, so hat sich der Geschmack offenbar gewandelt. Für die Branche ist das kein gutes Zeichen, verliert ihre Ware dadurch doch an Glamour. Dagegen gibt es nur ein Rezept: Mode zu kreieren, die wieder Begehrlichkeit weckt, und Kleidung, über die man redet. Das konnte Gerry Weber. Und wenn die Anzeichen nicht täuschen, dann ist das Unternehmen diesem Ziel in der schwierigen Phase der Insolvenz sogar ein Stück näher gekommen. Jetzt sind die Designer am Zug. Haben sie ein gutes Händchen, sollte die Rückkehr zur Normalität auch nachhaltig gelingen.
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