WESTFALEN-BLATT (Bielefeld): CDU-Mittelstandschef Linnemann warnt vor "Abdriften in die Staatswirtschaft" - Zuschüsse für besonders gebeutelte Branchen geplant - Kritik an Kanzlerin Merkel
Bielefeld (ots)
Der Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) lehnt in der Corona-Krise eine Aktienbeteiligung des Bundes an der Lufthansa ab und warnt vor einem Sündenfall: "Ich halte das derzeit für das gefährlichste Projekt, über das wir reden. Denn es geht um die zentrale Frage, ob wir unsere Zukunft weiter mit der Sozialen Marktwirtschaft gewinnen wollen oder in die Staatswirtschaft abdriften", sagte der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung dem in Bielefeld erscheinenden WESTFALEN-BLATT (Samtagausgabe). "Wenn wir jetzt diesen Präzedenzfall schaffen, operativ und strategisch eingreifen, dann werden weitere Unternehmen folgen. Und dann entfernen wir uns immer mehr von unserer Sozialen Marktwirtschaft, die uns in den vergangenen 70 Jahren Wohlstand geschenkt hat."
Linnemann hält eine milliardenschwere Staatshilfe für die infolge der Corona-Pandemie schwer gebeutelte Fluggesellschaft in Form einer stillen Beteiligung für die bessere Option. "Ich bin der Meinung, dass wir am möglichen Erfolg der Lufthansa in den nächsten Jahren finanziell partizipieren müssen, wenn wir den Konzern jetzt stützen. Aber wir dürfen nicht die Kontrolle übernehmen, indem wir jetzt beispielsweise ein großes Aktienpaket kaufen. Die Entscheidung etwa über Flugrouten und Flugpläne muss die Lufthansa treffen und nicht die Politik." Es gebe in der Debatte aber Strömungen, die ihm Sorge bereiteten: "Ich merke jedenfalls, wie einige in der Politik richtig Spaß am Gedanken haben, dass der Staat die Lufthansa künftig operativ und strategisch lenken könnte."
Zugleich warnt Linnemann vor verfrühten Konjunkturpaketen. "Ich halte es für falsch, heute über eine Abwrackprämie zu reden, die 2009 nach der Finanzkrise nur ein Strohfeuer war. Und ich halte es auch für falsch, dass für die Gastronomie bereits die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 auf 7 Prozent beschlossen worden ist. Wir können über alle Wünsche diskutieren, wenn wir wieder Licht am Ende des Tunnels sehen und wenn die Menschen wieder Vertrauen und Konsumfreude gewinnen. Aber wenn die Leute gar nicht erst in die Stadt gehen, dann geben sie dieses Geld gar nicht erst aus", sagt Linnemann. "Die aktuelle Passantenfrequenz in den deutschen Innenstädten liegt bei unter 40 Prozent des Jahresdurchschnittswerts von 2019."
In der aktuellen Lage sei es "viel zielführender, jetzt darüber zu reden, wie wir Liquidität in den Unternehmen stärken, wie wir die Insolvenzordnung so ändern können, dass es faktisch ein Moratorium für Firmen gibt, die aktuell nicht mehr können, aber unter veränderten Bedingungen wieder den Neustart schaffen können." Zudem müsse es Hilfen für Branchen vom Tourismus bis zu den Schaustellern geben, die von der Corona-Krise besonders betroffen seien. Ein entsprechendes Programm werde Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommende Woche vorstellen. "Wir wollen branchenübergreifend eine Lösung finden gerade für jene Firmen, die jetzt bei laufenden Kosten gar keine oder nur geringe Umsätze machen und für die wir faktisch ein Berufsverbot ausgesprochen haben. Sie sollen Zuschüsse bekommen."
Das Krisenmanagement der Bundesregierung bewertet Linnemann "im Großen und Ganzen als gut. Nur was die Lockerungen angeht, hätte ich mir schon vor Wochen mehr Mut zu einer offenen Debatte gewünscht. Das hätte für mehr Vertrauen bei den Bürgern gesorgt." In diesem Punkt kritisiert der CDU-Politiker insbesondere Angela Merkel. "Ich habe von Anfang an nicht die Meinung der Bundeskanzlerin geteilt, dass eine Debatte über Öffnungen dazu führt, dass die Menschen undisziplinierter werden - im Gegenteil. Diese Debatte hätte aus meiner Sicht zu Vertrauen auf beiden Seiten geführt", stellt Linnemann fest. Er hätte sich "mehr Zutrauen gewünscht. Die Menschen verhalten sich sehr anständig."
Die Warnungen vor einem zweiten Lockdown sieht Linnemann kritisch: "Dass der ein oder andere mit dieser abstrakten Drohung versucht, die Debatte über Öffnungen im Keim zu ersticken, ärgert mich." Dabei komme es in dieser schwierigen Situation darauf an, dass Bürger und Unternehmen "Luft holen, neuen Mut schöpfen und wieder nach vorne gehen können".
Linnemann sieht in der Corona-Krise den Gründer- und Unternehmergeist sowie den Mittelstand bedroht. "Wenn wir die Krise jetzt falsch meistern, und viele dann sagen, dass sie unter diesen Bedingungen keine eigene Firma führen wollen, dann ist das auch eine große Gefahr für Deutschlands Zukunft", sagt er. "Unser Wohlstand basiert auf diesem Mittelstand. Deshalb müssen wir den Firmen jetzt eine Brücke bauen, über die sie aus der Krise herausgehen können."
"Der ökonomische Druck ist groß. Aber Wirtschaft und Gesundheit darf man nicht gegeneinander ausspielen", betont Linnemann. Die Kosten seien enorm: "Ökonomisch ist es so, dass das Geld der Bundesagentur für Arbeit höchstens für dieses Jahr noch reicht. Die Rentenkassen sind leer, der Gesundheitsfonds schmilzt dahin", erklärt der Bundestagsabgeordnete. "Wir sind also an dem Punkt, an dem wir nicht mehr die Bazooka nehmen können, sondern zielorientiert Wirtschaftspolitik betreiben müssen."
Zum Duell der möglichen Unions-Kanzlerkandidaten Laschet und Söder in der Corona-Krise sagt Linnemann dem WESTFALEN-BLATT: "Ganz ehrlich: Auch im Hintergrund interessiert sich gerade niemand für diese Frage. Wir haben mit der Corona-Krise derzeit alle Hände voll zu tun. Und auch der CDU-Parteitag ist in dieser Situation noch sehr weit weg."
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