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WESTFALEN-BLATT (Bielefeld): Kommentar zu Artikel 3 des Grundgesetzes

Bielefeld (ots)

Das Grundgesetz ist ein Manifest gegen Rassismus und Totalitarismus. So ist es gemeint, und so ist es geschrieben. Als es 1948 und 1949 entstand, waren die Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur und die Erinnerungen an das Hitler-Regime noch gegenwärtig. Dass der Begriff "Rasse" in Artikel 3 steht, hat historische Gründe und bezieht sich direkt auf den mörderischen Rassenwahn der Nationalsozialisten, auf die von ihnen erlassenen Rassengesetze und Vorschriften zur Rassenhygiene.

"Nie wieder!" - das ist der Geist des Grundgesetzes, einer Verfassung als Gegenentwurf zum NS-Staat. Wenn man so will, ist nichts antirassistischer als das Grundgesetz. Wer es ändern und den Begriff "Rasse" aus Artikel 3 streichen will, der greift damit auch Artikel 1 an. "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das wäre so nicht formuliert worden, wenn Nazi-Deutschland zuvor nicht sechs Millionen Juden ermordet und damit das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hätte. Eine Änderung von Artikel 3 wäre mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes geschichtsvergessen und könnte zudem als Relativierung des Holocausts verstanden werden.

Warum es dann ändern und "Rasse" aus Artikel 3 streichen? Die Befürworter führen an, dass mit der Verwendung des Begriffs die Rassenideologie erst möglich gemacht wird. Und richtig ist, dass es aus naturwissenschaftlicher Sicht keine Menschenrassen gibt, sondern verschiedene Ethnien. Auf den Menschen bezogen entstand der Begriff "Rasse" während der Kolonialzeit, als Europäer die Welt entdeckten und eroberten - und die Bewohner der neuen Herrschaftsgebiete phänotypisch vermaßen und beschrieben - und auch bewerteten und einteilten. Rassismus bedeutet also, davon auszugehen, dass es unterschiedliche menschliche Rassen gibt. Und das ist biologisch widerlegt.

Trotzdem hält sich der Begriff hartnäckig - auch in Dokumenten, in denen man das nicht vermutet, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (1950) sowie in jüngerer Zeit im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (2006) und in der EU-Grundrechtecharta (2009). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass "Rasse" heute als Bezugspunkt für Rassismus verständlich ist.

Wobei "Rassismus" in vielen Fällen und fälschlicherweise als eine Art Sammelbegriff für Ausländerfeindlichkeit benutzt wird. Gleiches gilt für den neu geschaffenen Begriff "Antimuslimischer Rassismus". Ein durchsichtiger Versuch, mit der erfundenen Begrifflichkeit Kritik am Islam in den Bereich des Rassismus zu drängen und Kritiker damit zu stigmatisieren. Solche Begriffe dienen nicht dem Schutz einer Gruppe, die sich als Minderheit betrachtet; solche identitätspolitischen Vorstöße vergrößern die Spaltung der Gesellschaft.

Was wäre gewonnen, wenn "Rasse" aus Artikel 3 gestrichen würde? Es bliebe ein symbolischer Akt. Deutschland würde der Welt zeigen wollen, dass es für den Antirassismus seine Verfassung ändert. Aber wie meistens in solchen Fällen, täten wir das nur für uns selbst. Zu dem Preis, dass der Artikel in seiner Absolutheit aufgeweicht, womöglich um eine Handlungsanleitung erweitert und somit geschwächt werden würde. Das Grundgesetz ist nicht "Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka-Land", wo man die Vergangenheit zensieren und aus dem "Negerkönig" einen "Südseekönig" machen kann.

Beim Blick auf den Rassismus in den USA sind mit der Perspektive auch die Maßstäbe verrutscht. Die Forderung der Grünen ist einem moralischen Aktionismus geschuldet. Es ist typisch deutsch, ein Ereignis von einem anderen Kontinent zum Anlass zu nehmen, in Deutschland etwas Grundlegendes verändern zu wollen. In den USA kommt ein Afroamerikaner - es ist nicht der erste Fall und wird nicht der letzte Fall sein - durch Polizeigewalt zu Tode, und bei uns gehen Leute aus dem linken Milieu gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Straße und fordern, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Es ist wie nach Fukushima: In Japan kommt es bedingt durch ein Erdbeben zu schweren Störfällen in einem Atomkraftwerk, und Deutschland beschließt von jetzt auf gleich, schnellstmöglich aus der Kernenergie auszusteigen. Da fehlt es an Rationalität.

Und Rationalität ist gefordert, wenn es um das Grundgesetz geht. Die Debatte ist wichtig, und sie wird bislang noch auf relativ hohem Niveau geführt. Die Alternative zur bloßen Streichung von "Rasse" wäre eine andere Formulierung. An Vorschlägen mangelt es nicht. "Niemand darf aus rassistischen Beweggründen..." oder wegen "ethnischer Herkunft" benachteiligt werden, so zwei Beispiele. Es dürfte schwierig sein, sich politisch auf eine Sprachregelung zu einigen, die Artikel 3 nicht verschlimmbessert.

Und egal, wie sich die Parteien entscheiden werden: Es würde nichts am Alltagsrassismus ändern, der in Deutschland weniger ausgeprägt sein mag als in anderen Ländern, aber dennoch vorhanden ist.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Andreas Schnadwinkel
Telefon: 0521 585-261
wb@westfalen-blatt.de

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