Kurier am Sonntag: Zur zunehmenden Zahl der Operationen in Deutschland schreibt der Bremer KURIER am SONNTAG:
Bremen (ots)
Zugegeben: Die Argumentation des Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen hat eine enorme Lücke: Nachweislich ist die Zahl der Operationen gestiegen. Dass die Ansprüche der Patienten gestiegen sind, ist hingegen nicht mit Daten belegt. Aber man braucht nicht viel Fantasie, um der Argumentation zu folgen. Die Medizin hat unfassbare Fortschritte gemacht. Glücklicherweise. So es sich nicht um einen Notfall oder einen Risikopatienten handelt, können sich Patienten in den Händen der Ärzte und Schwestern im OP-Saal so sicher fühlen wir in Abrahams Schoß. Das ist eine großartige Leistung der Technik, der medizinischen Fähigkeiten und der Wissenschaft. Dennoch sollte man davon ausgehen, dass sich die meisten Menschen einen operativen Eingriff, ja, jeden Aufenthalt im Krankenhaus außerhalb von Besuchszeiten, am allerliebsten ersparen. Dem entgegen steht die Zahl von Schönheitsoperationen: 18-Jährige lassen sich die Brüste vergrößern, 80-Jährige die Lider straffen. Die im Alter dazwischen lassen sich Fett absaugen und liegen dafür stundenlang unter Vollnarkose im Operationssaal. Ohne medizinische Notwendigkeit. Nicht nur der rasante Fortschritt spricht für die Einschätzung der Ärzte und Krankenkassen. Zum einen verlangt der moderne Zeitgenosse, dass alles auf Knopfdruck funktioniert. Und wenn nicht, wird es repariert. Diese Haltung macht vor der Natur nicht Halt, auch nicht vor der menschlichen. Der Körper hat gefälligst zu funktionieren, ungeachtet natürlicher Grenzen. Sportler dopen sich, Männer nehmen Viagra, unfruchtbare Frauen lassen sich künstlich befruchten. Körper werden instandgesetzt oder auch frisiert. Der Mediziner verkommt zum Reparateur. Zum anderen scheint Geduld mehr und mehr zu einer antiquierten Marotte wie ein Diener und ein Knicks zu verkommen. Wer durchs Leben hetzt - arbeiten und Kinder groß ziehen und Freunde treffen und mit Übersee chatten und Hobbys pflegen - kann nicht genesen. Wann denn? Wer durchs Leben hetzt, will geflickt, ausgebessert, gekittet werden. Und zwar zack-zack, wo ist der medizinische Drive-In-Schalter? Die Medizin soll den Menschen dienen. Sie ist dazu da, bestenfalls zu heilen, schlimmstenfalls zu lindern. Sie ist nicht dazu da, Körper zu tunen - für ein ewig junges, schnelles und bequemes Leben.
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