Französischer Wirtschaftsminister verbittet sich Kritik an französischer Atompolitik
Hamburg (ots)
Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire weist Kritik aus Deutschland an der französischen Atompolitik zurück. "Ich respektiere die souveränen Entscheidungen jedes einzelnen Staates, jeder kann seinen Energiemix unabhängig wählen. Ich kritisiere also nicht die Wahl Deutschlands. Ich würde das niemals tun. Aber im Gegenzug erwarte ich natürlich auch, dass Deutschland die französischen Entscheidungen, insbesondere die Wahl der Kernenergie, nicht kritisiert", sagt Le Maire im Interview für eine ARD-Dokumentation ("Deutschland schaltet ab - Der Atomausstieg und die Folgen", DasErste, 11.04.2023, 22:50 Uhr). Angesprochen auf die Vorwürfe aus Deutschland, es handle sich bei den französischen Kernkraftwerken um "Schrottreaktoren", widerspricht Le Maire. Er räumt zwar "technische Schwierigkeiten" ein, diese seien aber größtenteils behoben. Zuletzt hatte es Berichte über Risse in Rohren in französischen AKWs gegeben. Zeitweilig mussten Reaktoren vom Netz genommen werden, um die Schäden zu beheben.
Die ARD-Dokumentation beleuchtet zum Ende der friedlichen Nutzung der Atomenergie in Deutschland den Weg, den andere Industrieländer in Europa und der Welt bei der Nutzung der Kernenergie gehen. Es zeigt sich: Viele Staaten setzen auch in Zukunft stark auf die Kernenergie. Schwedens Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin Ebba Busch spricht im Interview für die Dokumentation davon, dass Schweden "auf Einkaufstour für neue Atomkraftwerke" sei. "Ist es möglich, sich hohe Klimaziele zu setzen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand zu steigern? Bei dieser Schlüsselfrage sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir beides brauchen, Erneuerbare Energien und Atomkraft", so Ebba Busch.
Die Internationale Atomenergie-Organisation macht weltweit Vorschläge zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Organisation überprüft auch die Sicherheit bestehender und neuer Anlagen. IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi sieht im Gegensatz zu vielen Ankündigungen in der Vergangenheit nun eine Renaissance der Atomkraft weltweit. "Es passiert gerade sehr viel, beileibe nicht nur Absichtserklärungen. Länder stecken Geld in die Entwicklung oder bauen neue Atomkraftwerke", sagt Grossi im Interview für die ARD-Dokumentation. Die Erreichung der Klimaziele sei aus Sicht der Internationalen Atomenergie-Organisation ohne einen nennenswerten Anteil von Kernenergie nur schwer oder gar nicht zu erreichen: "Schaut man sich in der Welt um, sieht man: Die meisten Länder versuchen, in ihrem Energiemix als Grundlast rund 15-20 Prozent Atomkraft zu haben, damit sie dann Erneuerbare Energien besser in ihre Stromnetze integrieren können".
An ein weltweites Comeback der Atomkraft glaubt Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dagegen nicht. "Also man muss immer unterscheiden zwischen Hype und realen Investitionen. Wenn man sich reale Investitionen anschaut, dann ist das, was gerade global passiert, der große Wind- und Solarboom. Wenn ich mir die realen Zahlen und Investitionen angucke, weiß ich, dass wir auf dem richtigen Kurs sind und die Mediendiskussion, die alle Jahre eine neue Sau durchs Dorf treibt, die kann ich dann auch gut an mir vorüberziehen lassen."
IAEA-Generaldirektor Grossi sieht hingegen international eine andere Entwicklung. "Ich mache das hier ja schon seit Jahrzehnten und wir hören natürlich immer wieder, dass viele Projekte geplant sind. Der große Unterschied diesmal ist, dass bereits Geld fließt, es werden schon Kernkraftwerke der nächsten Generation gebaut. Es geht jetzt darum, wann wird das zu vernünftigen Preisen sein und lösen sie das ein, was wir uns davon versprechen. Unser Eindruck ist, in den nächsten fünf bis sechs Jahren werden wir diese Reaktoren sehen."
Vor allem Länder in Osteuropa sind an dieser neuen Kraftwerks-Technologie interessiert. Staaten wie Polen wollen in Zukunft ihre Stromerzeugung mit weniger klimaschädlicher Kohle bestreiten und zugleich unabhängig von Importen werden. Bis zu sechs Reaktoren sind aktuell geplant. Andere Länder verlängern die Laufzeit von Meilern (Belgien), wollen neu bauen (Niederlande) oder errichten gerade Kraftwerke (Frankreich und Großbritannien).
Finnland bringt im April eines der modernsten Kernkraftwerke ans Netz. Olkiluoto 3 soll mit 1600 Megawatt 14 Prozent des finnischen Strombedarfs decken. Damit erhöht sich der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung in Finnland auf rund 40 Prozent. Plan und Bau des Kraftwerks dauerte viele Jahre länger als geplant, sprengte außerdem das Budget. Trotzdem ist die Unterstützung in der Politik und in der Bevölkerung in Finnland groß. So spricht sich der Fraktionschef der finnischen Grünen, Atte Harjanne, für die Nutzung der Atomkraft aus. Nur so ließen sich ambitionierte Klimaziele erreichen. "In Industrieländern brauchen wir auch in Zukunft Energie und die müssen wir irgendwie produzieren. Wenn man da nicht Atomkraft im Werkzeugkasten hat, dann führt das zu einer sehr viel längeren und massiven Nutzung von fossilen Energieträgern", sagt Harjanne. Als Beispiel für diesen Weg nennt Harjanne Deutschland. In der Vergangenheit ließen die Grünen über die Haltung zur Atomkraft auch eine Regierungskoalition platzen, nun sieht die Partei die Vorteile der Atomenergie. "Wir sind die führende Wissenschaftspartei in Finnland. Das schließt auch die Fähigkeit ein, seine eigenen Standpunkte zu hinterfragen und sie weiterzuentwickeln". Für die Dokumentation besuchten die Autorinnen und Autoren auch das finnische Atommüllendlager Onkalo. Im Gegensatz zu viele anderen Staaten haben die Finnen ein fertiges Endlager. Bereits ab 2025 sollen dort abgebrannte Brennstäbe eingelagert werden.
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