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amnesty international startet weltweite Anti-Folter-Kampagne
Neuer Bericht belegt schockierende Statistik

Berlin (ots)

Folter gehört in Militärdikaturen, autoritären Regimen und
Demokratien zur Tagesordnung / Diskriminierung macht den Weg frei für
Folter / Methoden haben sich in den vergangenen Jahren verändert /
"Regierungen haben weitgehend versagt, weil es ihnen nicht gelungen
ist, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte umzusetzen" /
Forderungskatalog an die Bundesregierung / Schwerpunktländer:
Russland und Türkei / Prominente Botschafter für amnesty
international: Meret Becker, Johannes Mario Simmel und Roger
Willemsen
In den vergangenen drei Jahren wurden in 153 Ländern der Welt
Menschen von staatlichen Akteuren wie Polizisten und Mitarbeitern des
Geheimdienstes gefoltert und grausam misshandelt; in mehr als 80
Ländern starben Menschen an den Folgen der Folter; in über 70 Ländern
waren Folter und Misshandlungen weit verbreitet. Das ist die traurige
Bilanz, die amnesty international (ai) zum Auftakt einer weltweiten
Anti-Folter-Kampagne zieht. "Seit amnesty international in den
60er-Jahren zum ersten Mal Folter in Form einer weltweiten Kampagne
angeprangert hat, hat sich die Welt wesentlich verändert. Doch Folter
gehört leider weiterhin zur Tagesordnung. Sie wird nicht nur in
Militärdiktaturen oder autoritären Regimen, sondern auch in
demokratischen Staaten verübt. Die Methoden und die Umstände von
Folter und Misshandlungen haben sich in den vergangenen Jahren
verändert. Deshalb startet amnesty international jetzt die dritte
Anti-Folter-Kampagne mit den Hauptzielen: Folter verhüten -
Diskriminierung entgegentreten - Straffreiheit überwinden", erläutert
die Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty
international, Barbara Lochbihler, anlässlich der Vorstellung der
Kampagne in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Die Opfer
Nach Recherchen von amnesty international sind die meisten
Folteropfer Menschen aus den ärmsten oder am stärksten
marginalisierten Gruppen der Gesellschaft, die einer Straftat
verdächtigt werden. "Unsere Kampagne will den Zusammenhang zwischen
Diskriminierung und Folter deutlich machen: Es ist für den Folterer
einfacher, jemandem Schmerz zuzufügen, der einer verachteten
sozialen, ethnischen oder politischen Gruppe angehört.
Diskriminierung macht den Weg frei für Folter, indem sie erlaubt, das
Opfer zu entmenschlichen und es als Objekt zu sehen, das unmenschlich
behandelt werden darf", so Barbara Lochbihler. Aus über 70 Ländern
liegen Berichte über Folter von politischen Gefangenen vor, aus mehr
als 60 Ländern über Folter an gewaltlosen Demonstranten.
Immigranten, Gastarbeiter und Asylsuchende, die ihre Heimat auf
der Suche nach Sicherheit verlassen haben, begegnen oft rassistischer
und fremdenfeindlicher Misshandlung durch Beamte. In Ländern wie
Österreich, der Schweiz, Belgien, Deutschland und Großbritannien sind
Ausländer während ihrer Abschiebung gestorben - als Resultat der
exzessiven Anwendung von Gewalt durch die Polizei oder gefährlicher
Methoden der Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
Die Täter
Unter allen staatlichen Akteuren sind Polizisten nach
Informationen der Menschenrechtsorganisation die häufigsten Folterer,
nämlich in mehr als 140 Ländern. In über 50 Ländern waren
Sicherheits- oder Geheimdienste beteiligt, in mehr als 40 Staaten
Angehörige der Armee und in über 20 Ländern Mitglieder
paramilitärischer Gruppen.
Die Methoden
Schläge mit Fäusten, Stöcken, Gewehrkolben, improvisierten
Peitschen, Eisenrohren, Baseballschlägern und Elektrokabeln sind die
bei weitem üblichste Folter- und Misshandlungsmethode.
Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch von Gefangenen sind
ebenfalls weit verbreitet. Die Opfer leiden an Blutergüssen, inneren
Blutungen, Knochenbrüchen, ausgeschlagenen Zähnen, verletzten
Organen, lebenslangen psychischen Störungen oder sterben an den
Folgen. In über 50 Ländern werden Menschen zum Schein hingerichtet
und mit dem Tode bedroht, in mehr als 40 Staaten mit Elektroschocks
misshandelt. "Die Foltermethoden haben sich vor allem dadurch
ausgedehnt, dass Repressionstechnologien verfeinert wurden. Sie
hinterlassen meist keine Spuren am Körper des Opfers. Für teilweise
lebenslange Leiden oder den Tod von Opfern tragen auch jene
Industrieländer Verantwortung, welche die Herstellung und den Export
von Geräten zulassen, die speziell für den Gebrauch an Menschen
geformt wurden", erinnert Barbara Lochbihler.
Verantwortung der internationalen Gemeinschaft
"Schockierender als die Statistik über Folter ist die Tatsache,
dass Folter gestoppt werden könnte. Die Regierungen der Welt sind des
kollektiven Versagens anzuklagen, weil es ihnen nicht gelungen ist,
das Versprechen einzulösen, das sie vor mehr als 50 Jahren mit der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte abgelegt haben. Dort heißt
es in Artikel 5: "Niemand darf der Folter oder grausamer,
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterzogen
werden", mahnt Barbara Lochbihler.
Ein wesentlicher Bestandteil der Kampagne ist der Kampf gegen
Straffreiheit: Selbst wenn Foltervorwürfe strafrechtliche Verfahren
nach sich ziehen, ist der Prozentsatz der daraus resultierenden
Verurteilungen verschwindend gering. "Die Straffreiheit vermittelt
Folterern die Botschaft, dass man sie mit ihrem Tun unbehelligt
davonkommen lässt. Sie leistet damit der Folter massiv Vorschub", so
Barbara Lochbihler.
Forderungen an die Bundesregierung
Die Menschenrechtsorganisation hat aus Anlass der Kampagne einen
12-Punkte-Forderungskatalog an die Bundesregierung aufgestellt. Er
enthält unter anderem die Forderung nach Verbot von Abschiebung bei
drohender Folter: Nach Schätzungen von amnesty international sind 20
bis 25 Prozent der in Deutschland lebenden Asylbewerber und
Bürgerkriegsflüchtlinge Folteropfer. "Ein Asylbewerber wird in der
Regel innerhalb der ersten Woche nach Antragstellung angehört.
Gefolterte Asylsuchende sind zu diesem Zeitpunkt häufig akut
traumatisiert und gar nicht in der Lage, über die Misshandlungen zu
sprechen. Es ist geradezu zynisch, wenn dann in der Begründung für
die Ablehnung eines Asylantrags dargelegt wird, es hätte ein
"konkreter und lebensnaher Sachvortrag erwartet werden können und
müssen", erläutert Barbara Lochbihler. amnesty international hat
zahlreiche Fälle aus unterschiedlichen Ländern dokumentiert, in denen
abgelehnte Asylbewerber direkt bei ihrer Rückkehr erneut festgenommen
und misshandelt wurden.
Außerdem fordert die Menschenrechtsorganisation die
Bundesregierung auf, die Individualbeschwerde nach Artikel 22 der
UN-Anti-Folter-Konvention anzuerkennen. "Deutschland darf nicht
länger neben Großbritannien und Irland Schlusslicht in Europa sein,
sondern hat die Chance, durch Anerkennung der Individualbeschwerde
auch für andere Länder zum Vorbild zu werden", so Barbara Lochbihler.
Konzeption der Kampagne
Im Laufe der Anti-Folter-Kampagne wird amnesty international
weltweit verschiedene Aspekte der Folter thematisieren und die
Aufmerksamkeit auf einzelne Opfergruppen wie Frauen oder Kinder
lenken. Schwerpunktländer der Arbeit der deutschen Sektion werden
Russland und die Türkei sein. In Zusammenarbeit mit kommunalen
Gruppen werden eine Million Mitglieder von amnesty international in
aller Welt die Regierungen herausfordern, sich zu verpflichten,
Folter zu bekämpfen und "Folterfreie Zonen" in ihrem
Verantwortungsgebiet zu schaffen. Mit der Nutzung von E-Mail und
SMS-Mobilfunk-Textnachrichten wird amnesty international die Kampagne
auch online führen und der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben,
Eilappelle zu Gunsten derjenigen zu senden, die einem akuten
Folterrisiko ausgesetzt sind. "Nur öffentlicher Druck kann
Regierungen dazu zwingen, tätig zu werden, um Folter zu stoppen.
Unsere Aufgabe ist es, zu informieren und Gleichgültigkeit in
Empörung und in konkrete Taten umzusetzen!" appelliert Barbara
Lochbihler.
Zum Auftakt der Kampagne findet in Hamburg eine Demonstration von
der Moorweide zum Gerhard-Hauptmann-Platz statt (17 Uhr).
Ausstellungen zum Thema Folter sind zur Zeit in der evangelischen
Versöhnungsgemeinde in Ingelheim (bei Mainz) und ab 8.11. in der
Universität Wuppertal zu sehen. Vor der Buchmesse in Frankfurt am
Main findet am 21.10. nachmittags eine Mahnwache statt.
Prominente Botschafter setzen sich mit amnesty international für
eine Welt frei von Folter ein
Im Laufe der 15-monatigen Anti-Folter-Kampagne werden erstmals
prominente Botschafter für amnesty international auftreten: Zum
Auftakt der Kampagne stellt die Schauspielerin Meret Becker vor der
Bundespressekonferenz in Berlin einen der Appellfälle der
Menschenrechtsorganisation vor: Der 15-jährige Brasilianer José (Name
geändert) wurde im Juni 1999 in Xinguara festgenommen, beschuldigt,
eine geringe Menge Cannabis und eine kleine Handfeuerwaffe zu
besitzen, und zwei Tage lang in Haft gehalten. In dieser Zeit wurde
er von Beamten der Kriminalpolizei so schwer geschlagen, dass er
seither psychiatrische Behandlung benötigt. Jüngste Berichte liefern
überdies Hinweise darauf, dass José wegen einer Schädigung seiner
Hoden behandelt werden muss. Josés Mutter Iraci Oliveira dos Santos
erreichte die Freilassung ihres Sohnes durch das Versprechen, er
werde wegen der Misshandlung keine Anzeige erstatten. Entgegen diesem
Versprechen brachte sie den Vorfall bei der Staatsanwaltschaft zur
Anzeige und machte ihn sogar durch Auftritte im Fernsehen bekannt.
Meret Becker appelliert an jeden Einzelnen, sich für José einzusetzen
und in Briefen an den Gouverneur des Bundessstaates Pará eine
gründliche und unparteiische Untersuchung der Foltervorwürfe sowie
eine Entschädigung von José und seiner Mutter zu verlangen. 
   Vor der Pressekonferenz enthüllte Meret Becker auf dem Gelände der
Stiftung "Topographie des Terrors" das Motiv der Kampagne: eine lange
Narbe, die mit der Aufschrift "Es wird weltweit ungehindert
gefoltert, solange die Mehrheit glaubt, als Einzelner nichts dagegen
tun zu können" ,genäht' ist. amnesty international und die Stiftung
wollten mit der Wahl dieses Ortes ein Zeichen setzen, dass die
Menschen aus der Vergangenheit lernen müssen und für die Gestaltung
der Zukunft verantwortlich sind.
Neben Meret Becker werden auch der Journalist Roger Willemsen und
der Schriftsteller Johannes Mario Simmel um Unterstützung für die
Anti-Folter-Kampagne werben.
Den Bericht und ein Medien-Briefing finden Sie unter
www.stoptorture.org. Wenn Sie Rückfragen oder Interviewwünsche haben,
Beta- oder Foto-Material bestellen möchten, wenden Sie sich an:
   amnesty international
   Pressestelle 
   Tel. + 49 - (0)228 - 98373-36
   E-Mail:  press-de@amnesty.de
   oder
amnesty international 
   Generalsekretariat
   - Eva Gutmann -
   Tel. + 49 - (0)30 - 420248-12
http://www.amnesty.de

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