Auf der Suche nach dem Bauchgefühl
Erziehung: Eltern dürfen auf ihre Intuition vertrauen (BILD)
Bad Rodach (ots)
Der sogenannten inneren Stimme zu folgen, sich auf ein ganz bestimmtes Gefühl zu verlassen, dazu gehört mitunter eine Menge Mut. Und doch sind viele Eltern hier auf dem richtigen Weg und vertrauen, wenn es um die Erziehung ihrer Kinder geht, vor allem ihrer Intuition. Für 61,9 Prozent der vom Umfrageinstitut mafo.de in einer Online-Umfrage im Auftrag von JAKO-O befragten Eltern ist ihr Bauchgefühl der wichtigste Einflussfaktor in der Erziehung. "Und genau das ist für die Erziehung unersetzlich", bestätigt die Diplom-Biologin Dr. Johanna Pareigis. Kinder wollen authentische, ehrliche, spontane Eltern, die auch mal etwas verkehrt machen oder aus der Rolle fallen - und genau dazu soll auch die JAKO-O Initiative "Lasst Kinder einfach Kinder sein" Mut machen", so die Hoffnung der Expertin.
Eltern wird etwas Fantastisches von der Natur mitgegeben: die Fähigkeit, ihr Kind über alle Maßen zu lieben und zu bewundern - von Geburt an. Kein anderes ist toller, schöner, besser! Sie wissen instinktiv, dass ihr Kind perfekt ist, so wie es ist. Und doch beginnen sie zwangsläufig irgendwann zu schauen, wie sich denn andere Kinder entwickeln. Dann wird verglichen, auf Entwicklungskurven geguckt, es wird optimiert und therapiert: Erziehung wird heute oftmals nach einer Art Businessplan betrieben, unterstützt von jeder Menge Ratgeberliteratur. Schuld an dieser Entwicklung ist vor allem die Verunsicherung, mit der viele Mütter und Väter heute zu kämpfen haben. Die Folge: Nicht alle Eltern vertrauen auf ihre eigenen Erfahrungen, lieber wäre ihnen eine konkrete Gebrauchsanleitung für ihren Nachwuchs.
Unser Bauchgefühl hat eine wissenschaftliche Basis
Doch Patentrezepte gibt es nicht. Jedes Kind, jede Mutter und jeder Vater sind einzigartig. Statt Anleitungen bekommen Eltern aber von Natur aus eine ganz besondere Verbindung zu ihrem Kind mitgegeben. Sie können intuitiv erspüren, welche Bedürfnisse ihr Kind hat. Sie müssen nur das Vertrauen in sich haben, diesen natürlichen Draht zu ihrem Nachwuchs auch in der Erziehung zu nutzen. "Das Bauchgefühl ist keine Eingebung von oben oder nur eine Vorstellung - es lässt sich wissenschaftlich erklären", sagt Johanna Pareigis. Es entsteht aus einer Fülle von Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Auf Basis dieser abgespeicherten Erfahrungen können wir - scheinbar aus dem Bauch heraus - in vielen Situationen schnell Entscheidungen treffen. Tatsächlich werden dabei Informationslücken vom Gehirn mit Erfahrungswissen ergänzt. Erziehen mit Bauchgefühl ist also nicht gleichbedeutend mit einem spontanen Erziehen allein aus dem Bauch heraus. Wenn Eltern ihre Intuition nutzen, spielen Gefühl und Vernunft gleichermaßen eine Rolle.
Doch Eltern fällt es nicht immer leicht, sich auf diese Form der Erziehung einzulassen. Was schwarz auf weiß im Erziehungsratgeber steht oder bei anderen Familien funktioniert, erscheint vertrauenswürdiger als die eigenen Erfahrungswerte. Die Folge sind manchmal verkrampfte Eltern, die ständig Angst haben. Sie machen sich Sorgen darum, dass das Kind nicht altersgemäß entwickelt ist. Sie überwachen jeden Entwicklungsschritt genauestens. Sie können nicht loslassen und nicht abwarten. Sie möchten die Entwicklung ihrer Kinder nicht nur fördern, sondern sie beschleunigen.
Kinder profitieren von einer intuitiven Erziehung
Diese Ängste nehmen natürlich auch die Kinder wahr. Verunsicherte Eltern machen ihrem Nachwuchs das Leben schwerer und stressiger. Denn Kinder entwickeln sich nicht exakt nach Tabellen. Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Und jedes Kind braucht seine Freiräume und seine Geheimnisse, um sich optimal entwickeln zu können. Intuitiv zu erziehen heißt, mit Geduld und viel Liebe sein Kind im Blick zu haben. Es bedeutet, dem Kind die Unterstützung zu geben, die es braucht, ihm aber auch Zeit und Freiräume für seine Entwicklung zu lassen.
Wer nur mit dem Kopf erzieht, beraubt sich daneben auch selbst vieler positiver Erfahrungen. Das Festklammern an Lernkurven, ständiges Vergleichen, Konkurrenzdenken und die Angst vor eigenen Fehlern lassen dem Spaß am Elternsein kaum Raum. Aber Kinder brauchen Eltern, denen auch mal etwas schief geht, die nicht perfekt und trotzdem glücklich sind.
Johanna Pareigis hofft, dass es noch mehr Müttern und Vätern gelingt, sich wieder mehr auf ihr individuelles Elterngefühl einzulassen und Ratgeberliteratur lediglich als eine Orientierungsmarke zu betrachten: "Das Bauchgefühl in der Erziehung kann Familien helfen, ihren eigenen Weg zu finden. Es vermittelt Kindern Sicherheit und Selbstbewusstsein und damit die Basis für ein glückliches Leben."
Experten-Info
Dr. Johanna Pareigis, Diplom-Biologin und ausgebildete Gärtnergesellin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Biologiedidaktik am Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel sowie als Lehr¬beauftragte für "Naturwissenschaft und Mathematik im Kindesalter" an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Kiel tätig. Darüber hinaus unterstützt sie als freie Bildungsreferentin und Fortbildnerin Kindergärten und Schulen (u. a. Naturwissenschaftliche Bildung, Forschendes Lernen, Begabungsförderung, Inklusives Lernen, Übergänge Kita - Schule, lateinamerikanische Percussion). Die dreifache Mutter ist daneben auch als Autorin tätig (Fachartikel und Buch "Anleitung zum Forschersein - Naturwissenschaft und Weltwissen für Kinder und Erwachsene").
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