Betreuungsschlüssel: Masse statt Klasse
Geht der Kita-Ausbau auf Kosten der Qualität?
Ein Beitrag der JAKO-O Initiative "Lasst Kinder einfach Kinder sein" zum neuen Kinderförderungsgesetz (BILD)
Bad Rodach (ots)
Wickeln, füttern, spielen, anziehen, trösten, schmusen, in den Schlaf wiegen: Sich um ein kleines Kind zu kümmern, ist eine wunderbare Aufgabe, aber auch eine große Herausforderung. Entsprechend fordern Experten für Krippen einen Betreuungsschlüssel von 3 zu 1. Sprich: Eine Erziehungsperson soll sich um höchstens drei Kinder kümmern, damit jedes Kind die nötige Aufmerksamkeit bekommt und die Arbeitsbelastung nicht zu hoch wird. Doch die Realität sieht in fast allen Bundesländern ganz anders aus. Durch den neuen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz könnte sich die Situation sogar noch verschlechtern, warnen Experten. Denn um Klagen leer ausgegangener Eltern zu vermeiden, werden derzeit in manchen Kommunen einfach die Gruppengrößen in den Kitas heraufgesetzt.
Der Ausbau geht so auf Kosten der Qualität. Und die ist in vielen Einrichtungen in Deutschland ohnehin schon jetzt nur mittelmäßig, wie ganz aktuell die Nubbek-Studie (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit) zeigt. Demnach erreichen 80 Prozent der Krippen und Kitas bei der "pädagogischen Prozessqualität" auf einer Skala von 1 bis 7 Werte zwischen 3 und 5. Weniger als 10 Prozent der Einrichtungen schneiden in der unter anderem vom Bundesfamilienministerium geförderten Studie mit "gut" ab.
Die Schlussfolgerung der Experten der JAKO-O Initiative "Lasst Kinder einfach Kinder sein": "Die Befunde rufen nach Verbesserung". Allerdings gebe es für die Erhöhung der Qualität keinen Königsweg - mit Änderungen beim Betreuungsschlüssel allein sei es auf jeden Fall nicht getan. Trotzdem spielt dieser natürlich eine wichtige Rolle.
Wie der Betreuungsschlüssel aussieht, ist Ländersache. Im Saarland liegt er laut dem Statistischen Bundesamt derzeit bei 1 zu 3,2, in Hamburg bei 1 zu 5,1 und in Brandenburg bei 1 zu 6,2. Wer schon mal auf drei Einjährige gleichzeitig aufgepasst hat, kann sich leicht ausrechnen, dass bei sechs kleinen Kindern kaum Zeit bleiben dürfte, um sich um individuelle Anregung oder Förderung zu kümmern. Da wird es schon schwierig, die grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen.
Dazu kommt: Der Schlüssel ist eine ziemlich theoretische Angelegenheit. Denn wenn zum Beispiel viele Erzieher gleichzeitig krank werden, nützt die versprochene 3 zu 1-Quote nichts. Dann muss sich eine Erzieherin schnell um sechs oder mehr Kinder kümmern - oder der Praktikant hat plötzlich alleine die Verantwortung für eine Gruppe.
Dass die Gruppen in vielen Kitas größer sind, als für die Kinder gut ist, liegt auch daran, dass qualifiziertes Personal nur schwer zu finden ist. Der Erzieher-Markt ist leergefegt - Kitas müssen gerade in den Großstädten oft monatelang nach neuen Mitarbeitern suchen. Viele Kommunen haben darauf mit eigenen Programmen reagiert. In Hamburg gibt es zum Beispiel verkürzte Ausbildungsprogramme für Quereinsteiger. Ganz gezielt werden hier vor allem Männer angesprochen.
Andernorts werden statt pädagogischer Fachkräfte vermehrt Kinderpfleger eingesetzt, deren Ausbildung weit weniger umfassend ist. Experten wir der Bildungsforscher Prof. Dr. Wassilios Fhtenakis sehen diese Entwicklung kritisch: "Angesichts der großen Herausforderungen müsste die Ausbildung verbessert und nicht verkürzt werden".
Ein weiterer Faktor, der sich negativ auf die Betreuungsqualität auswirken kann, ist die hohe Zahl der Teilzeitstellen. Im Bereich frühkindliche Bildung arbeiten laut einer Studie der Universität Dortmund 60 Prozent der Mitarbeiter in Teilzeit. Problematisch ist das vor allem angesichts der steigenden Ganztagsbetreuung, da Kinder eine feste Bezugsperson brauchen, wenn sie so lange außerfamiliär betreut werden.
Diese Fakten zeigen: Es gibt noch viel zu tun beim Thema Kita-Qualität. "Doch der Ausbau des Betreuungssystems bedeutet auch, dass es in Zukunft weniger schwierig und langwierig sein wird, einen Platz für sein Kind zu bekommen", so Bettina Peetz, Geschäftsleiterin JAKO-O und selbst Mutter von drei Kindern. "Eltern und Kinder müssen die Situation dann nicht mehr bedingungslos akzeptieren - und damit steigt automatisch der Druck auf die Einrichtungen, ihre Arbeit zu verbessern".
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