ZDF-Programmhinweis
Donnerstag, 16. September 2004, 21.15 Uhr, auslandsjournal
Mainz (ots)
Donnerstag, 16. September 2004, 21.15 Uhr
auslandsjournal mit Dietmar Ossenberg
Asyl der Altnazis - Ein Andendorf kämpft mit seiner Vergangenheit
Die "kleine Schweiz" wird sie auch genannt, die Gegend um Bariloche an der Grenze zu Chile. Berge, Wälder und Seen umgeben die argentinische Stadt, in der sich ein Chalet ans andere reiht. Wie ein europäischer Bilderbuchort. Doch mit dem fernen Europa verbindet die Stadt mehr als nur Äußerlichkeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden hier Tausende Nazis aus Deutschland und anderen Ländern des Dritten Reichs eine neue Heimat. Während deutsche Kinos der Film "Der Untergang" über die letzten Tage im Leben von Adolf Hitler und seinen Selbstmord zeigen, gibt es in Argentinien genug Menschen, die beschwören, dass Hitler noch bis 1962 lebte. Angeblich soll auch er in Bariloche Asyl gefunden haben. Sein Tod nur vorgetäuscht, starb er angeblich später friedlich in dem idyllischen Ort in den Anden. Das zieht zumindest Abel Basti, Buchautor und Hobbyhistoriker, in Erwägung: "In Argentinien gibt es zahlreiche Hinweise für die Anwesenheit Hitlers, durch direkte Zeugen und indirekte Beweise. Ich arbeite daran, die Wahrheit herauszufinden. Auch heute behaupten immer noch Menschen, dass sie mit Hitler hier in Argentinien zusammen waren."
Nach der Kapitulation gelang vielen Nazis die Flucht ins Ausland. Ein Ziel war Francos faschistisches Spanien, das allen Nationalsozialisten freundliche Aufnahme anbot. Noch willkommener waren die Anhänger des Hitler-Regimes jedoch in Argentinien. Der damalige argentinische Präsident General Juan Domingo Peron, der ein Bewunderer Mussolinis und der deutschen "Tugenden" war, holte zielgerichtet Nazis nach Argentinien. Vor allem Naturwissenschaftlern und Technikern verhalf Peron zur Flucht. Sein Ziel: Argentinien mit Hilfe der Deutschen zur atomaren Großmacht hochzurüsten. Zwischen 1945 und 1955 sind 30000 bis 40000 Deutschstämmige dauerhaft in Argentinien eingewandert. Die meisten waren Wohlstandsflüchtlinge, denn Argentinien war damals ein reiches Land. Unter ihnen aber auch zahlreiche NS-Funktionäre aus Staat und Partei sowie Soldaten aus Wehrmacht und SS, die den Verfolgungen in der Nachkriegszeit entkommen wollten. Die bekanntesten unter ihnen: der NS-Arzt Josef Mengele, der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der KZ-Kommandant Joseph Schwammberger und der SS- Hauptsturmführer Erich Priebke. Abel Basti hat jetzt einen Reiseführer über Bariloche geschrieben, inklusive Stadtplan mit genauer Angabe der Häuser der Kriegsverbrecher. Eine Freude macht er den Bewohnern von Bariloche damit nicht. Im Gegenteil. "Wir sind stolz auf unsere Einwanderer, die Familie Priebke, zum Beispiel, hat großartiges geleistet," erklärt Angel Dano Barriga von der Präfektur in Bariloche. Das neue Leben der Nazi-Verbrecher war deshalb auch ein gut gehütetes Geheimnis. Erst nach knapp 50 Jahren, nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien, wurde die verbrecherische Vergangenheit der eingewanderten Deutschen zum Thema. Der neue argentinische Präsident Carlos Menem unterzeichnete 1998 ein Abkommen mit Deutschland, Israel und den USA über den Informationsaustausch bei der Suche nach Kriegsverbrechern und lieferte diese ans Ausland aus. Priebke wurde noch im selben Jahr in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Für die idyllische Stadt in den Anden ist das unverständlich. Schließlich hatte nach Meinung vieler Bürger Priebke, der u.a. die Schule in Bariloche gegründet hat, der Stadt viel Gutes getan. Die Aufarbeitung der Geschichte ist in den Augen der Argentinier daher zweitrangig.
ZDF-Korrespondent Carsten Thurau berichtet aus Bariloche vom schwierigen Umgang mit den Nazi-Einwanderern.
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