Böhmer/Eichhorn: Medizinische, ethische und verfassungsrechtliche Aspekte bei PID-Diskussion berücksichtigen
Heidelberg (ots)
Anlässlich der Klausursitzung der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 9./10. Februar 2001 in Heidelberg zu den Perspektiven in der Krebsforschung sowie zu den Chancen und Risiken der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik (PID), erklären die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Maria Böhmer MdB, und die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Maria Eichhorn MdB:
Die Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 9./10.2.2001 in Heidelberg eine Klausurtagung zu den Themen "Perspektiven in der Krebsforschung" sowie "Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik" durchgeführt. Die Perspektiven der Krebsforschung standen im Zentrum des Gesprächs mit Professor Dr. Harald zur Hausen, dem wissenschaftlichen Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (dkfz), und Dr. Josef Puchta, Mitglied des Vorstandes des Krebsforschungszentrums Heidelberg. Ethische, medizinische, technologische und rechtliche Fragen der modernen Fortpflanzungsmedizin, insbesondere der Präimplantationsdiagnostik (PID), wurden mit Professor Dr. Claus R. Bartram, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Heidelberg, Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, und Dr. Thomas Heinemann, Privatdozent der medizinischen Fakultät der Universität Bonn, Institut für Wissenschaft und Ethik, erörtert.
Professor Dr. Harald zur Hausen erläuterte die neuen Entwicklungen zur Therapie schwerster Krebserkrankungen. Der rasante technologische und medizinische Fortschritt erlaubt neue Behandlungsmethoden, mit denen sich neue Hoffnungen für Krebskranke verbinden. Beim Besuch des DKFZ-Forschungsschwerpunkts "Radiologische Diagnostik und Therapie" wurde ein neuartiges Verfahren der Hirntumortherapie vorgestellt, das mit einer dreidimensionalen Bestrahlungsplanung gekoppelt ist. Der Besuch hat gezeigt, dass das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg mit seinen acht Forschungsschwerpunkten zu den weltweit führenden Institutionen zählt. Es trägt wesentlich dazu bei, dass die Region Heidelberg zu den besonders geförderten Forschungsregionen in der Bundesrepublik Deutschland gehört. Es gilt in Zukunft, diesen wichtigen Bereich sowohl mit finanziellen wie auch personellen Ressourcen hinreichend auszustatten.
Im Gespräch mit Professor Dr. Claus R. Bartram, Dr. Frank Ulrich Montgomery und Dr. Thomas Heinemann wurden zunächst die Chancen und Risiken der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert. Durch die PID als einem Anwendungsbereich der modernen Reproduktionsgenetik ist es möglich, eine außerhalb des Körpers befruchtete Eizelle am zweiten oder dritten Tag ihrer embryonalen Entwicklung auf die genetische Beschaffenheit hin zu testen und sie gegebenenfalls zu vernichten, sofern sie nicht die gewünschten Eigenschaften hat. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn der Embryo Träger einer genetisch bedingten Erkrankung ist, aber auch wenn er "nur" das "falsche" Geschlecht hat.
Nach dem Embryonenschutzgesetz aus dem Jahre 1991 gilt für die PID in der Bundesrepublik Deutschland folgende Rechtslage: Da jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzung zu teilen und zu einem Individuum entwickeln kann, ihrerseits als Embryo gilt, ist die Abspaltung einer solchen Zelle eine strafbare Handlung (Klonierung). Die Verwendung eines außerhalb des Körpers erzeugten Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck ist zudem mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe belegt. Ähnlich strenge Regeln gelten in zehn anderen europäischen Staaten, z.B. in Österreich, der Schweiz und Portugal, während in Belgien und den USA die PID erlaubt ist.
Auch die Abgeordneten der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stehen vor der Frage, ob die PID zukünftig in Deutschland zugelassen werden soll oder nicht. Die Bundesärztekammer hat einen Diskussionsentwurf vorgelegt, in dem sie für die Zulassung der PID unter strengen Kriterien plädiert hat und voraussetzt, dass ein besonders hohes Risiko besteht, dass der Embryo an einer Erbkrankheit leidet. Die Befürworter der PID haben Elternpaare im Blick, die befürchten müssen, eine schwere, genetisch bedingte Krankheit an ein potentielles Kind zu vererben. Als weiteres Argument für die Zulassung der PID wird angeführt, dass auf diesem Weg eine spätere Abtreibung aus medizinisch-sozialen Gründen vermieden wird. Dem wird entgegengehalten, die Zulassung der PID stelle eine Beeinträchtigung des Embryonenschutzes dar. Der Lebensschutz des ungeborenen Kindes sei aber absolut. Es sei im übrigen zu befürchten, dass sich eine auf Selektion ausgerichtet PID nicht auf Extremfälle begrenzen lasse. Da die Zulassung der PID in letzter Konsequenz die Vernichtung von Leben bedeutet, spielen bei der Entscheidung der Frage der Zulassung der PID nicht nur medizinische, sondern vor allem ethische und verfassungsrechtliche Aspekte eine Rolle.
Zum Abschluss der Klausursitzung erklären Maria Böhmer und Maria Eichhorn dazu: "Wir sprechen uns für eine ethisch verantwortbare Nutzung der Gentechnologie aus. Maßstab aller politischen Entscheidungen der Union ist das christliche Menschenbild. Unser Verständnis vom christlichen Menschenbild und seiner Verantwortung vor Gott gibt uns Orientierungshilfen und zeigt Leitlinien auf. Der Mensch ist für die Christdemokraten Geschöpf Gottes und nicht das letzte Maß aller Dinge. Obwohl wir um die Fehlbarkeit des Menschen und die Grenzen politischen Handelns wissen, sind wir davon überzeugt, dass der Mensch zur ethisch verantwortlichen Gestaltung der Welt berufen und befähigt ist. Wir bekennen uns zur Würde des Menschen, und die Würde und das Leben des Menschen - auch des ungeborenen - sind unantastbar.
Der Schutz der unteilbaren und unveräußerlichen Menschenwürde steht höher als jedes Forschungs- oder gar Wirtschaftsinteresse. Deshalb müssen Forschung und Technik immer unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem Gebot des Schutzes der unteilbaren und unveräußerlichen Menschenwürde stehen. Der Mensch darf nicht zum Objekt von Forschungs- und Wirtschaftsinteressen werden. Wir sind zwar für den Einsatz zellbiologischer Methoden zur Heilung von schweren Krankheiten, lehnen aber Eingriffe in die menschliche Keimbahn, das Klonen von Menschen sowie das Herstellen von Embryonen zu Forschungszwecken ab.
Unabhängig von der Frage, ob die PID in Deutschland zukünftig zugelassen werden sollte oder nicht, ist die genetische Beratung der Paare mit Kinderwunsch in der Bundesrepublik breit auszubauen. Den zukünftigen Eltern muss bei schwierigsten ethischen und medizinischen Fragen Hilfestellung geleistet werden und Unterstützung zukommen. Hier besteht dringender politischer Handlungsbedarf."
Bei der Bundesregierung stellt sich nicht nur bei der PID sondern auch bei der Bio- und Gentechnologie insgesamt zunehmende Orientierungslosigkeit ein. Die vormalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer hatte im vergangenen Jahr Eckpunkte für ein "Fortpflanzungsmedizingesetz" mit klaren Positionen vorgelegt, die sie mit den im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen erörtern wollte. Ein entsprechendes Gesetz sollte bis zur Bundestagswahl 2002 verabschiedet werden. Nach dem personellen Wechsel im Bundesgesundheitsministerium deutet sich jetzt aber eine Kursänderung in der Gentechnologie an. Die neu ernannte parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium erklärt, die Bundesregierung strebe jetzt einen "pragmatischen Kurs" an und werde in dieser Legislaturperiode keinen Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes in den Deutschen Bundestag einbringen. Die neue Bundesgesundheitsministerin hat öffentlich gefordert, in Deutschland die PID zuzulassen. Ihr sei nicht einsichtig, warum genetische Untersuchungen des Embryos auf Erbkrankheiten im Mutterleib zulässig seien, während solche Untersuchungen nicht zugelassen werden sollten, wenn sich der Embryo noch im Reagenzglas befinde. Der Bundeskanzler fordert einen offenen und breiten gesellschaftspolitischen Dialog über die Chancen und Risiken der Gentechnik "ohne ideologische Scheuklappen" und "Denkverbote". Andere Stimmen im Regierungslager bestreiten einen Kurswechsel und sehen - wenn überhaupt - allenfalls punktuellen politischen und rechtlichen Handlungsbedarf.
Aufgabe der Politik ist es, Chancen und Grenzen der verantwortbaren Forschung und Nutzung der Gentechnik zu definieren. Dabei dürfen bestehende Hoffnungen der Menschen nicht enttäuscht, aber auch keine falschen Erwartungen geweckt werden. Die Politik muss die berechtigten Ängste der Menschen sehr ernst nehmen und mit Information zu mehr Aufklärung beitragen. In der Gentechnologie stehen komplexe ethische, verfassungsrechtliche, wissenschaftliche und politische Grundsatz- und Grenzfragen zur Beantwortung an:
Wie kann die wissenschaftliche Neugier ethisch-gesellschaftlich fundiert werden ?
Wie sollen wir uns z.B. in Fragen der Fortpflanzungs- und Reproduktionsmedizin oder der angewandten medizinischen Forschung zukünftig positionieren ?
Sollten wir in Deutschland die Präimplantationsdiagnostik oder Eizellenspenden zulassen ?
Es geht aber auch um wirtschaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung in der Bundesrepublik, also um die Zukunft des Bio- und Gentechnikstandorts Bundesrepublik.
Die Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die jetzt beginnende Debatte über die Chancen und Risiken der Gentechnologie weder wissenschaftsgläubigen Heilsversprechern noch gentechnischen Fundamentalisten allein überlassen. Die Gespräche mit den Humangenetikern haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe in ihrer Auffassung bestärkt, dass jetzt weitere klärende Gespräche sowohl zu den ethischen wie rechtlichen Fragen der PID erforderlich sind. Nach Abschluss der Beratungen wird die Arbeitsgruppe ihre Auffassungen in den Entscheidungsfindungsprozess der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einbringen.
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