Kauder: Politische Kultur in Deutschland darf nicht verwildern
Berlin (ots)
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder hat sich in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse vom heutigen Samstag insbesondere zu den Folgen der US-Wahlen und der Verwilderung der politischen Kultur in Deutschland geäußert. Das Interview hat folgenden Wortlaut:
Frage: Herr Kauder, ist der künftige US-Präsident Donald Trump der wahr gewordene amerikanische Albtraum?
Kauder: Donald Trump ist der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten. Viele seiner politischen Äußerungen im Wahlkampf waren natürlich verstörend. Sie geben auch Anlass zur Sorge. Jetzt gilt es aber erst einmal, seine konkreten Pläne für seine Amtszeit abzuwarten und vor allem mit ihm zu sprechen. Kein deutscher Politiker scheint ihn persönlich zu kennen. Diese vielen Spekulationen der vergangenen Tage, was Trump nun im Amt machen könnte, bringen nicht viel. Es muss mit ihm geredet werden, damit wir ihm unsere Sichtweise nahebringen können. Wir wollen und müssen mit Amerika auch unter einem Präsidenten Trump eng zusammenzuarbeiten.
Frage: Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Trump im Wahlkampf einen Hassprediger genannt. SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht in ihm den Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen. Geht man so mit dem künftigen Präsidenten eines der wichtigsten Verbündeten um?
Kauder: Das halte ich nicht für den richtigen Ton. Mitglieder der Bundesregierung sollten sich klüger gerade gegenüber Politikern des wichtigsten Bündnispartners Deutschlands außerhalb Europas äußern, zumal gegenüber dem gewählten Präsidenten. Man kann sicher kritisieren. Man muss aber immer wissen, dass man mit dem, den man angreift, eines Tages vernünftig zusammenarbeiten könnte oder nun sogar muss. Solche Töne habe ich gegenüber russischen oder chinesischen Politikern noch nicht gehört. Die Bundeskanzlerin hat ganz andere Worte gefunden und trotzdem unsere Haltung deutlich gemacht. Deswegen wird es auch eine Gesprächsbasis zwischen ihr und Trump geben.
Frage: Wie konnte es zu Trumps überraschendem Wahlsieg kommen? Wo liegen die Ursachen für den Erfolg?
Kauder: Große Bevölkerungsteile in den USA fühlen sich offenbar abgehängt und zurückgelassen. Sie sehen keine Perspektive. Die wirtschaftliche Situation ist dort für viele Menschen in den USA in der Tat gar nicht gut. Das gilt vor allem für die ländlichen Räume und Teile der alten Industrieregionen. Bei uns in Deutschland ist die Lage anders. Zwei Drittel der Menschen sind mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation zufrieden. Anders als in den USA droht in Deutschland momentan keine Spaltung der Gesellschaft. Aber natürlich gibt es auch bei uns Zukunftssorgen und Frust.
Frage: Ihr Parteifreund Finanzminister Wolfgang Schäuble warnt vor zunehmendem demagogischen Populismus auch hier in Deutschland...
Kauder: Wenn im Land über Politik geredet wird, geht es immer häufiger gar nicht mehr um die harten Fakten und die tatsächliche Lage. Die gefühlte Wirklichkeit ist wichtiger. Das wird dann von Populisten verstärkt, die auch bei uns unterwegs sind. Wir müssen uns bemühen, dass die reale Lage des Landes wieder mehr wahrgenommen wird und diejenigen entlarven, die die Wahrheit verdrehen und mit Lügen arbeiten. Vor allem im Internet wird immer mehr gehetzt und an der Wirklichkeit vorbei argumentiert. Im Internet und in den sozialen Netzwerken erleben wir, dass oft nur noch emotional und mitunter demagogisch über Politik diskutiert wird, wenn das Wort diskutieren manchmal noch zutreffend ist. Die politische Kultur verwildert.
Frage: Was kann man dagegen tun?
Kauder: Hier sind viele gefordert: Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, die Medien, die Schulen. Wir müssen alle Kanäle nutzen, um aufzuklären und dagegenzuhalten. Politik muss besser erklärt werden und zwar in verständlicher Sprache. Kritik an Politik und Politikern hat es schon immer gegeben. Das ist überhaupt nichts Neues. Doch der Hass einiger kleiner Gruppen nimmt zu. In einer Welt voller Veränderungen wachsen Sorgen und Ängste. Manche Menschen erwarten, dass die Politik dafür sorgt, dass alles bleibt wie bisher. Das wird aber in einer sich rasant wandelnden Welt nicht möglich sein. Das muss man den Menschen ehrlich sagen. Wir können uns der Wirklichkeit nicht verweigern. Wir bemühen uns aber, diese Welt so zu gestalten, dass möglichst alle Bevölkerungsgruppen davon profitieren und möglichst wenige zurückbleiben. Das ist gerade in Deutschland in den vergangenen Jahren auch gelungen.
Frage: Trumps Credo lautet "America first". Er setzt auf Isolationismus und will das weltweite amerikanische Engagement verringern und das Handelsabkommen mit Europa zu den Akten legen...
Kauder: Ich setze darauf, dass der neue Präsident erkennt, wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und den USA sind. Das Präsidentenamt wird ihn auch hier hoffentlich zur Einsicht bringen. TTIP kann auch mit Donald Trump gelingen. Deutschland ist wie kaum ein anderes Land auf internationalen Handel angewiesen. Wenn Trump jetzt den amerikanischen Markt für ausländische Produkte sperren würde, hätten wir ein großes Problem, aber in der Folge auch die USA. Denn auch Europa und Asien würden reagieren. Auch Trump wird erkennen, dass Amerika nicht autark leben kann, sondern den Austausch braucht, wenn es seinen Wohlstand steigern will.
Frage: Wenn Trump seine Ankündigungen wahr macht und sich Amerika in der Außen- und Sicherheitspolitik weniger engagiert, muss Europa dann mehr Verantwortung übernehmen? Wird es dann auch für Deutschland teuer?
Kauder: Europa wird ohnehin mehr Verantwortung übernehmen müssen. Bereits Präsident Obama hat von uns gefordert, mehr für Sicherheit und Verteidigung zu tun. Das müssen wir auch. Dafür ist Vorsorge im Haushalt getroffen. Europa muss auch hier näher zusammenrücken. Jetzt sollten die Weichen für eine europäische Armee gestellt werden.
Frage: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat noch immer nicht erklärt, ob sie 2017 noch einmal bei der Bundestagswahl antritt. Führt an ihr in dieser schwierigen Zeit überhaupt ein Weg vorbei?
Kauder: Die Bundeskanzlerin wird sich rechtzeitig und zu gegebener Zeit dazu erklären. Ich wünsche mir, dass sie im kommenden Jahr noch einmal antritt.
Frage: Nach dem gescheiterten Putschversuch scheint die Türkei auf dem Weg in Richtung Diktatur zu sein. Grundrechte werden mit den Füßen getreten, es gibt eine Verhaftungswelle und die kritische Presse wird mundtot gemacht. Wo bleibt eine klare und entschiedene Reaktion?
Kauder: Die Entwicklung der Türkei macht uns generell große Sorgen. Wenn die Türkei tatsächlich wieder die Todesstrafe einführt, wäre das ein Schritt, der nicht folgenlos bleiben könnte. Dann müssten die EU-Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden und die Türkei würde ihre Mitgliedschaft im Europarat ernsthaft aufs Spiel setzen. Davon hätten weder die Türkei noch Europa etwas.
Frage: Der Bundestag hat das Mandat der Bundeswehr für den Anti-Terror-Einsatz auf dem NATO-Stützpunkt im türkischen Incirlic verlängert. Bundestagsabgeordnete dürfen aber nur von Erdogans Gnaden die Truppe dort besuchen. Ist das nicht völlig inakzeptabel?
Kauder: Es ist völlig klar, dass Bundestagsabgeordnete Soldaten im Einsatz besuchen können müssen. Darauf legt die Bundesregierung größten Wert und tut alles dafür, dass das auch gelingt. Wir sind dort in einer gemeinsamen NATO-Mission zur Bezwingung des IS-Terrors.
Frage: Ankara droht mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes mit der EU. Wird das Abkommen scheitern und die Flüchtlingskrise wieder zurückkehren?
Kauder: Wir brauchen den Flüchtlingspakt mit der Türkei, wenn wir den Schlepperbanden das Geschäft kaputt machen wollen. Das Abkommen wirkt und ist ein Erfolg. Wenn sich die Türkei anders entscheiden sollte und sich nicht an die Vereinbarungen hält, könnten wir mittlerweile viel besser als noch vor einem Jahr reagieren. Ich setze darauf, dass wir die Probleme gemeinsam mit Ankara lösen können.
Frage: Bleibt es bei dem Dissens zwischen CDU und CSU beim Thema Flüchtlingspolitik? Wie steht es mit der Versöhnung der Schwesterparteien?
Kauder: Wir stimmen in 98 Prozent unserer Positionen überein. Da können wir auch gut aushalten, dass wir bei 2 Prozent der Fragen unterschiedliche Auffassungen vertreten. Aber wir arbeiten auch hier daran, eine gemeinsame Position zu formulieren.
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