FZ: Köhlers Rücktritt ist keine Katastrophe Kommentar der Fuldaer Zeitung
Fulda (ots)
Horst Köhler galt bislang in der Öffentlichkeit als vorbildlich besonnener und bescheidener Mann; einer, der nicht gleich ausflippt, wenn ihm die sprichwörtliche Laus über die Leber läuft; einer, der Pflichtbewusstsein über persönliche Befindlichkeiten stellt. Kurzum: ein Präsident, zu dem man über Parteigrenzen hinweg respektvoll aufschaute. Umso mehr überrascht seine Kurzschlussreaktion, alles hinzuwerfen und vom höchsten Staatsamte zurückzutreten. Das Volk steht - auch angesichts der offensichtlichen Politikmüdigkeit seiner Elite - unter Schock, gelähmt von inflationär auftretenden Rücktritten und verwirrenden Begründungen. Galt schon der Rückzug von Bischöfin Käßmann wegen ihrer Trunkenheitsfahrt vielen als Überreaktion, so sind die Zweifel bei Horst Köhler ungleich größer: Tritt der erste Mann im Staat wirklich wegen einer Lappalie zurück? Zumal nicht einmal der ärgste politische Feind die Forderung nach Amtsaufgabe erhoben hatte. Was also ist passiert in den zehn Tagen, seit Köhler auf dem Rückweg von einer Asien-Reise mit ausgeprägt wirtschaftlichem Schwerpunkt Station bei den deutschen Soldaten in Afghanistan machte und einem Reporter eine sehr realistische Einschätzung der Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts ins Mikrofon diktierte? Nämlich dass "im Notfall" auch militärischer Einsatz notwendig sein kann, um unsere wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Nichts anderes steht auch im Bundeswehr-Weißbuch, in dem die große Koalition 2006 die Aufgaben der Streitkräfte definierte. Und nichts anderes geschieht zum Beispiel am Horn von Afrika, wo die Bundesmarine mithilft, die Handelswege auf See vor Piraten zu schützen. Nein, wer aus Köhlers Äußerungen herausliest, der Präsident sehe im Afghanistan-Einsatz auch einen Krieg zur Sicherstellung unserer wirtschaftlichen Interessen und er halte nicht vom Grundgesetz gedeckte Militäreinsätze für konform, der sollte lieber an die Existenz von Ufos glauben, denn das ist realistischer. Und so bleibt erst recht die Frage nach dem Warum. War der Präsident doch viel dünnhäutiger und sensibler als gedacht? Hat ihn die Kritik der Presse, die in ihm zuletzt den "Schwadroneur im Schloss Bellevue" ("Süddeutsche Zeitung") sah und einen "dramatischen Autoritätsverlust des Staatsoberhaupts" ("Spiegel") attestierte, wirklich so mitgenommen? Oder steckt mehr dahinter, vielleicht die mangelnde Unterstützung der Kanzlerin in den letzten Wochen? Das Volk wird es wohl nie erfahren - und folgt fassungslos dem Science-Fiction-haften Schauspiel im Schloss Bellevue, in dem der Protagonist mit Tränen in den Augen seinen Abschied verkündet. Doch Tränen sind nicht angebracht: Sollte tatsächlich die Kritik aus der linken Ecke, wie er vorgibt, Köhler k. o. geschlagen haben, so wäre dies ein Armutszeugnis, eine für einen Politiker beispiellose Bankrotterklärung. Und dann hätten nicht die Kritiker das Amt des Bundespräsidenten beschädigt, sondern er selbst. Der Politikbetrieb mag manchmal zwar ein Kindergarten sein, ist aber nie eine Krabbelgruppe, in der man lernt, liebevoll miteinander umzugehen. Hier wird mit harten Bandagen um Positionen gekämpft. Schloss Bellevue ist da kein Hort der Glückseligkeit. Der Präsident ist zwar qua Verfassung ein zahnloser Tiger, doch seine Waffe ist sein Wort, mit dem er Teil der politischen Debatte ist. Ergo muss er sich auch Kritik stellen - und damit leben. Als auf fünf Jahre gewählter oberster Repräsentant des Staates hat er schließlich eine Verantwortung, aus der er sich nicht wegen ein paar verbaler Tiefschläge stehlen kann. Wenn auch die Ratlosigkeit über seinen Schritt groß ist, so gab es bei Köhler in den vergangenen Monaten zumindest Anzeichen für eine Veränderung. Nach seinem Amtsantritt im Juli 2004 eroberte er binnen kürzester Zeit die Herzen der Menschen. Weil er gegenüber den Regierenden in Berlin unbequem war, den von der Verfassung vorgeschriebenen Auftrag der Überparteilichkeit ernst nahm wie kaum einer vor ihm, wurde er zu einem Präsidenten des Volkes. Doch vieles, was Köhler in den vergangenen fünf Jahren anmahnte, ist verhallt. Seine Aufforderungen an die Regierenden, richtige Reformen statt kleine Korrekturen in Angriff zu nehmen, blieben ohne Resonanz. Vielleicht führte das zu innerer Resignation. Jedenfalls blieb er in den vergangenen Monaten blass. So gesehen ist der Abtritt auch keine Katastrophe für das Land. Ohne Zweifel: Als Repräsentant unseres Systems, als Bindeglied zwischen Regierung und Volk oder einfach nur als beharrlicher Mahner für Reformen hat der Bundespräsident wichtige Funktionen. Doch die, die jetzt eine Staatskrise herbeireden, überschätzen das Amt. Eine Katastrophe wäre es, wenn Köhlers Beispiel Schule machen würde: Sich davonzuschleichen, Problemen aus dem Weg zu gehen und unbequeme Aufgaben anderen zu überlassen, das ist etwas, was Deutschland derzeit gar nicht braucht.
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