Labor mit Explosionsgefahr
Kommentar der "Fuldaer Zeitung" (11. November 2023) zu den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen in Hessen
Fulda (ots)
Hessen war schon immer Labor für politische Experimente: 1983, als "Dachlatten-Holger" Börner und "Turnschuh-Joschka" das erste rot-grüne Bündnis der Republik schmiedeten, 2008, als Andrea Ypsilanti ein Linksbündnis einfädelte, das scheiterte, schon bevor es die Arbeit aufnahm - und 2013, als Volker Bouffier zum ersten Mal in einem Flächenland eine schwarz-grüne Ehe einging. Nun wird ein neues Experiment hinzukommen, das es in dieser Form noch nicht gab: ein Bündnis zwischen einer starken, wieder zur Volkspartei gewordenen CDU und einer vom Wähler zur Klientelpartei dezimierten SPD. Das ist alles andere als eine GroKo.
Wenngleich der Koalitionswechsel in Hessen das Prädikat "Paukenschlag" verdient, ist er folgerichtig, weil die Grünen die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir sah sich im Wahlkampf trotz des aus Berlin aufziehenden Sturms schon als Ministerpräsident - zur Not auch an der Spitze einer Links-Regierung aus Grünen, SPD und Linken. Hochmut kommt eben vor dem Fall. Und als nach der Wahl immer noch keine Demut aufkommen wollte und die Grünen - wie es Boris Rhein darstellte - wenig Korrekturbereitschaft erkennen ließen, war klar, dass es geräuschlos wie in den vergangenen Jahren nicht weitergehen würde. Das Risiko ständiger Enthaltungen im Bundesrat wollte Rhein nicht eingehen.
Der alte und wahrscheinlich neue Ministerpräsident hat mit der Entscheidung, den Grünen einen Korb zu geben, Mut bewiesen - und sich deutlich von seinem Vorgänger Bouffier abgesetzt. Das war ihm nach einer bislang eher farblosen politischen Karriere nicht unbedingt zuzutrauen. Die ganze Republik - und vor allem das politische Berlin - wird nun nach Hessen schauen: Ist Groß-Schwarz-Klein-Rot vielleicht doch das bessere Modell für den Bund als die Ampel?
So selbstsicher Rhein klang, so unsicher ist die Lage bei der Hessen-SPD. Fraktionschef Günter Rudolph sieht sich nach dem Wahldebakel mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, Nancy Faeser wird in Berlin bleiben und dort mit Genossen weiter über Instrumente wie eine Reichensteuer diskutieren. Wer also wird die Führung in Wiesbaden übernehmen - und lassen sich die in der Partei, die weiter auf "Wir schaffen das"-Kurs sind, integrieren? Dagegen steht die Knallhart-Ansage von CDU-Fraktionschefin Ines Claus, die eine "Abschiebeoffensive" ankündigte, mehr Videoüberwachung und einen klar wirtschaftsfreundlichen Kurs.
Wenn die Voraussetzungen auch gut erscheinen, dass in Wiesbaden jetzt ein frischer Wind weht: Hessen bleibt ein Politiklabor - mit Explosionsgefahr. / Bernd Loskant
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