Gesetzliche Krankenversicherung: Arzneimittelumsatz steigt auch 2003 ungebremst
Aktuelle Entwicklung belegt: Der Arzneimittelmarkt braucht dringend Strukturreformen
Bonn (ots)
Im ersten Quartal 2003 ist der Arzneimittelumsatz zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erneut stark angestiegen. Die AOK leitet aus detaillierten Analysen die Notwendigkeit von Strukturreformen ab, die alle Marktbeteiligten einbezieht. Nur so sei eine Dämpfung der Ausgabendynamik im Arzneimittelmarkt auf Dauer zu erreichen, so Dr. Rolf Hoberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Zuzahlungserhöhungen der Versicherten allein könnten dies keinesfalls leisten, sie seien ohne nachhaltige Strukturwirkung.
Aktuellen Analysen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zufolge stiegen die Bruttoausgaben für Arzneimittel zu Lasten der Krankenkassen im ersten Quartal 2003 um 565 Mio. Euro bzw. 10,5 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr 2003 ist damit bei ungebremster Entwicklung eine Zunahme der Bruttoausgaben von 2,3 Mrd. Euro zu erwarten. Damit setzt sich eine Kostenexplosion fort, die seit der Aufhebung des Arzneimittelbudgets zu beobachten ist. Tritt die prognostizierte Zunahme der Bruttoausgaben in 2003 so ein, bedeutet dies gegenüber 2000 einen Zuwachs von knapp 30 % (rd. 5,7 Mrd. Euro).
Der Arzneimittelbereich erweise sich damit weiterhin als potenzieller Brandherd für die angespannte Finanzlage der Kassen, wenn auch die Ausgabenexplosion der Kassen temporär und partiell durch das Beitragssicherungsgesetz gedämpft werde. An diesem massiven Umsatzzuwachs seit Budgetaufhebung hätten Pharmaindustrie, Großhandel und Apotheken gleichermaßen partizipiert, wie die Unternehmensbilanzen dieser Marktakteure eindrucksvoll belegten. Eine wesentliche Erklärung, so das Wissenschaftliche Institut der AOK, liefere weiterhin vor allem die hohe Strukturkomponente, d. h. die Verschiebung hin zur Abgabe anderer, teurerer Arzneimittel. Dies habe dazu geführt, dass der Durchschnittspreis einer Packung, der im Jahre 2000 noch bei 25,80 Euro lag, mittlerweile im ersten Quartal 2003 auf 30,01 Euro angestiegen ist (+16,3 %). Viele der neuen Arzneimittel seien jedoch reine Nachahmerwirkstoffe ohne therapeutischen Mehrnutzen, die hochpreisig vermarktet werden. Mittlerweile werde mehr als jeder fünfte Euro für diese oft unnötig teuren Präparate ausgegeben. In diesem Marktsegment koste eine durchschnittliche Packung mit 81,49 Euro mittlerweile fast dreimal soviel wie eine Verordnung im Gesamtmarkt. Der Preis pro Packung bei diesen so genannten Me-too-Präparaten sei in den letzten zwei Jahren um 20,4 % gestiegen.
Vor diesem Hintergrund, so Hoberg, sei es notwendig, an den Ursachen anzusetzen und Strukturreformen vorzusehen, die eine ausreichend nachhaltige Wirkung im Arzneimittelmarkt entfalten. Um einen Effizienzwettbewerb zwischen wirkungsidentischen Arzneimitteln zu entfesseln, sei es notwendig, auch für die noch patentgeschützten Präparate wieder Referenzpreise einzuführen, wie es sie bis 1995 bereits gab. Neben der Initiierung eines Preiswettbewerbs der Pharmaunternehmen bei patentierten Me-Too-Arzneimitteln gelte es aber auch, die Handelsstufen entsprechend an einer wirtschaftlicheren Ausgestaltung der Arzneimittelversorgung zu beteiligen. Hier gelte es, durch Zulassung von Apothekenketten und Versandhandel mehr Wettbewerb zu implementieren. Die im internationalen Vergleich sehr hohe deutsche Handelsspanne, die jeder GKV-Versicherte über seinen Krankenversicherungsbeitrag mit finanziere, würde dadurch sinken. Es komme aber auch darauf an, die Apothekenvergütung selber zu reformieren und den Apotheker zukünftig aufwandsgerecht zu honorieren. Die automatische prozentuale Koppelung der Apotheker- und Großhandelseinkommen an die Preispolitik und die Marketingerfolge der Hersteller sei ein Anachronismus, der sich schädlich auf die Finanzierbarkeit und die Strukturprobleme im deutschen Gesundheitssystem auswirke. Mit dem Übergang zu einer Fixgebühr pro Packung könnten Fehlanreize zur Abgabe teurer Arzneimittel eliminiert werden, der Apotheker erhalte ein aufwandsgerechtes Honorar.
Für die Apotheker ließe sich eine unter den gegenwärtigen Bedingungen kostenneutrale Umstellung im gesamten GKV-Markt durch eine Fixgebühr von knapp 5 Euro erreichen.
Drittens sei aber auch der an der zentralen Nahtstelle als Verordner agierende Arzt in Strukturreformen ausreichend einzubeziehen. So müsse sichergestellt sein, dass ausreichend verbindliche Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft auch Rückzahlungen an die Versichertengemeinschaft bei unwirtschaftlichem Verordnungsverhalten gewährleisten.
Erhöhte Selbstbeteiligungen der Versicherten könnten diese Strukturreformen keinesfalls ersetzen, sie würden vielmehr kurzfristig verpuffen, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Er äußerte die Hoffnung, dass die Politik bei den anstehenden Überlegungen zur Reform der Arzneimittelversorgung die Notwendigkeit umfassender Strukturreformen erkenne, die alle Marktbeteiligten einbeziehen.
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